Controllettis
Shownotes
„Die Controllettis“ - den Namen haben sie sich selbst gegeben. Im Prüfbüro für Leichte Sprache in Teltow-Fläming arbeiten seit einem Jahr zehn Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Sie prüfen, ob Texte, die in Leichte Sprache übersetzt wurden, auch tatsächlich verständlich sind - so dass sie auch Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, Lernschwierigkeiten oder Demenz lesen und verstehen können. Eigentlich sind die zehn in anderen Bereichen der Teltower Diakonische Werkstätten beschäftigt, in der Montage oder im Kräutergarten. Aber jeden Montag ist Textarbeit: Warum ihre Arbeit so wichtig ist für eine integrative Gesellschaft und was Leichte Sprache überhaupt ausmacht - darum geht es in diesem Podcast.
Inge Naundorf: https://www.naundorf.de/
Die Controllettis - Prüfbüro für Leichte Sprache: https://www.diakonie-portal.de/aktuelles/alle-meldungen/erstes-zertifiziertes-pruefbuero-fuer-leichte-sprache-im-land-brandenburg-wird-eroeffnet
Netzwerk Leichte Sprache e.V.: https://www.leichte-sprache.org/
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Cindy: Cindy: Informationen in leichter Sprache. Ein neuer Radschnellweg wird gebaut. Er geht von Heidelberg bis Mannheim.
Inge Naundorf: Inge Naundorf: Seid ihr mit dem Text einverstanden? Ist der gut zu verstehen?
Controllettis: Controllettis: „Ja“ „Ja“ „Joa“
Andreas: Andreas: Wir übersetzen Texte und Wörter, die schwierig sind, zu verstehen.
Moderation: Moderation: Den Namen haben sie sich selbst gegeben: Die Controllettis. In ihrem Büro für leichte Sprache prüfen sie, ob Texte verständlich geschrieben sind. Ob sie auch Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, Lernschwierigkeiten oder Demenz lesen und verstehen können.
Tobias: Tobias: Ich finde, ich habe ein Recht auf Leichte Sprache.
Jingle: Jingle: Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg.
Moderation: Moderation: Ich bin Vanessa Loewel. Und hier hört ihr die neunte Folge unserer Podcast-Serie „Vielfalt in Brandenburg“. Wir sind in Brandenburg unterwegs und stellen Menschen und Initiativen vor, die etwas bewegen in der Region. Für diesen Podcast war ich bei den „Controllettis“ in Teltow-Fläming.
Inge: Inge: ja, dann würde ich sagen: Fangen wir einfach mal an, wer möchte denn an den PC heute? Christine? Okay. Und wer möchte lesen? Cindy liest.
Moderation: Moderation: Es ist ein Montag, 09:30 Uhr. Die Controllettis sind gar nicht so leicht zu finden – die Teltower Diakonischen Werkstätten sind weitläufig, 250 Menschen mit Behinderungen arbeiten hier in unterschiedlichen Bereichen, im Gartenbau, in der Wäscherei, es gibt auch eine Großküche. Als ich im Büro der Controllettis ankomme, sind sie schon bei der Arbeit.
Inge: Inge: Wir haben heute ein spannendes Thema, nämlich den: Cindy, lies mal die erste Zeile.
Cindy: Cindy: Den Radschnellweg von Heidelberg nach Mannheim.
Moderation: Moderation: Die Schreibtische stehen in einem „U“ zusammen: Am Kopfende steht ein großer Bildschirm, auf dem alle mitlesen können. Im Prüfbüro für leichte Sprache arbeiten zehn Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Eigentlich sind sie in anderen Bereichen in den Werkstätten in Teltow-Fläming beschäftigt, in der Montage oder im Kräutergarten. Aber jeden Montag ist Textarbeit: Heute lesen sie eine Broschüre des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg. Sie wurde in einfache Sprache übersetzt – und jetzt prüfen die Controllettis, ob sie tatsächlich gut für sie verständlich ist.
Cindy: Cindy: Ein Radschnellweg ist ein breiter Radweg. Wie eine eigene Straße extra für Radfahrer.
Inge: Inge: Könnt ihr euch das vorstellen? Das ist eine gute Erklärung für den Radschnellweg?
Gruppe: Gruppe: Murmelt Zustimmung
Inge: Inge: Leichte Sprache ist eigentlich eine Notwendigkeit für alle, die eine geistige Beeinträchtigung in irgendeiner Form haben. Und wir sind mittlerweile verpflichtet, Gott sei Dank muss man sagen, nicht nur durch die UN Behindertenrechtskonvention, sondern auch durch das Bundesteilhabegesetz Leichte Sprache in die Welt zu bringen im öffentlichen Raum. Und ich sage immer: Das, was für den Rolli-Fahrer die Rampe ist, ist für jemanden mit kognitiver Beeinträchtigung die Leichte Sprache. Und es gibt sehr viel mehr Menschen, die Leichte Sprache brauchen als Menschen, die eine Rampe brauchen und oder Blindenschrift oder Gebärdendolmetscher. Aber bei Leichter Sprache wird es dann oft so: Ach, das klingt ja so wie Babysprache und das ist ja eine Diskriminierung, habe ich schon gehört von Menschen mit Beeinträchtigung, dass sie da so ein komisches Sprachniveau lesen müssen. Und dann kann ich nur zurückfragen: Was ist denn die Alternative? Dass Sie nämlich gar nichts zu diesem Thema zu lesen kriegen, weil sie alles andere schlichtweg nicht verstehen? Und das ist die Diskriminierung, die wir leider in so vielen Bereichen des öffentlichen und täglichen Lebens haben.
Michael: Michael: Leichte Sprache ist für mich etwas, was jeder Mensch, also Menschen auch mit Handicap und so was verstehen können.
Moderation: Moderation: …sagt Michael, 58 Jahre. An den anderen Tagen in der Woche arbeitet er im Kräutergarten.
Inge: Inge: „Ansonsten ist der Absatz für euch in Ordnung. Oh ja. Okay“
Moderation: Moderation: Die Sitzungen werden geleitet von Inge, der Prüf-Assistentin.
Inge: Inge: „Ich bin Inge Naundorf, Texterin und Übersetzerin und seit einigen Jahren auch Übersetzerin für Leichte Sprache. Und zwar zertifiziert nach den Regeln des Netzwerk für Leichte Sprache e.V.“
Moderation: Moderation: Warum ist das wichtig – so ein Zertifikat?
Inge: Inge: Jeder, der einen Volkshochschulkurs besucht hat, kann sich Übersetzer für Leichte Sprache nennen und es gibt da wenig Qualitätsmerkmale. Das Einzige und Wichtigste in Deutschland ist die Zertifizierung nach den Regeln des Netzwerks Leichte Sprache.
Moderation: Moderation: Und dieses Zertifikat gibt es nur, wenn der aus schwierigem Deutsch übersetzte Texte von Prüferinnen und Prüfern, wie den Controllettis, gegen gelesen wurde.
Andreas: Andreas: Wir übersetzen Texte und Wörter, die schwierig sind, zu verstehen. Ich habe hier sehr viel Spaß daran. Wir hatten eine Ausbildung gehabt mit zwei Dozenten und die haben uns auch geprüft. Die sind extra in Osnabrück angereist.
Moderation: Moderation: …sagt Andreas. Gabi ergänzt:
Gabi: Gabi: Und wir haben auch die Regeln für Leichte Sprache kennengelernt, die wir hier auch anwenden. Nur kurze Sätze, keine Fremdwörter und lange Wörter irgendwie in so umwandeln, dass man die auch in leichter Sprache versteht.
Moderation: Moderation: Möglichst Hauptsätze, keine Abkürzungen, keine Schachtelsätze, zusammengesetze, lange Worte werden mit einem Punkt getrennt – dem Mediopunkt. Zahlen werden mit Ziffern geschrieben.
Inge: Inge: Hier sind zwei Sätze, die ziemlich lang sind, und die werden diese beiden Wörter hier ersetzen. Womit könnte man die ersetzen?
Gruppe der Controllettis: Gruppe der Controllettis: Zahlen. Das ist kürzer, einfacher.
Moderation: Moderation: Außerdem: keine Bleiwüsten. Die Texte werden in kurze Absätze gegliedert – und zu jedem Absatz gehört ein Bild.
Inge: Inge: So ein Text ohne Bilder, der wird schlichtweg nicht gelesen. Und dann kann man sich eigentlich auch die Übersetzung sparen, weil Menschen mit Beeinträchtigungen dann nicht in der Lage sind, aufgrund ihres geringen Konzentrationsniveaus, sich damit zu befassen. Und dann finde ich, ist es so ein Feigenblatt. Das macht mich dann immer so ein bisschen traurig, solche Übersetzungen, weil ich mir denke, viele lassen Übersetzungen in Leichte Sprache anfertigen, weil sie es halt jetzt machen müssen und das dann aber nicht zertifiziert übersetzen zu lassen…irgendwie heißt das ja nichts anderes, als es ist mir egal, ob die, für die ich es eigentlich schreiben sollte, ob diese auch verstehen. Und das sagt auch etwas aus über den Respekt gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen.
Inge: Inge: Passt dieses Bild zu dem Text. Was meint ihr?
Controllettis: Controllettis: Murmeln Zustimmung.
Inge: Inge: Viele Texte kommen von öffentlichen Auftraggebern, von Ministerien oder Ämtern, von politischen Parteien, die ihre Webseiten neu gestalten und merken, sie hätten eigentlich jetzt gerne auch was in Leichter Sprache. Auch Broschüren, die gedruckt werden von Umweltverbänden oder die Universität Potsdam hat ihre Webseite in Leichter Sprache gemacht. Also es gibt ganz, ganz unterschiedliche Themen, mit denen wir uns hier auseinandersetzen. Und das ist, glaube ich, auch sehr schön, dass sie einfach so viel lernen übers Leben und so viel erfahren in einer Sprache, die für Sie verständlich ist.
Andreas: Andreas: Ich finde alle Texte cool.
Moderation: Moderation: …sagt Andreas.
Andreas: Andreas: Ich habe hier sehr viel Spaß daran. Ich wollte mal was Neues machen, als meine alte Arbeit in der Montage 1. Es hat mich gereizt, mal was Neues auszuprobieren.
Moderation: Moderation: Auch Gabi arbeitet ansonsten in der Montage 1 der Werkstätten.
Gabi: Gabi: Hier ist es interessanter und aufregender. Weil man dadurch auch Neues kennenlernt. Also auch Sachen, die wir vorher auch nie so kannten.
Cindy: Cindy: Weils auch mal was Neues ist und weil des halt auch mal was Neues zum Erfahren ist und man ist da sehr neugieriger geworden.
Moderation: Moderation: …sagt Cindy. Jeder Text schafft einen Zugang zu einem Thema. Zu einer Welt. Die Prüferinnen und Prüfer vermissen Leichte Sprache in den meisten Bereichen ihres Lebens.
Meinungen der Controllettis: Meinungen der Controllettis: „Weil man es bei den Arztpraxen und in den Krankenhäusern und bei den Behörden überhaupt nicht versteht.“ „Beim Fußball und bei den Nachrichten." „Ich hab im Internet geguckt, also es gibt noch nicht so viel in Leichter Sprache“ „Beim online Sachen bestellen. Amazon hat noch nicht Leichte Sprache und es könnte mal langsam voranschreiten, finde ich. Ich habe schon mal Amazon geschrieben, aber die haben bis jetzt noch nicht geantwortet.“
Inge: Inge: Zum Beispiel einen Personalausweis beantragen, ein Konto eröffnen, überhaupt eine Überweisung tätigen, Fußball spielen, in einem Chor singen. Es ist eigentlich egal, worum es geht. Also, es ist eigentlich die gesamte Palette des Lebens, die nicht funktioniert, wenn wir uns sprachlich nicht auf sie einstellen können.
Moderation: Moderation: Von Behörden, über das Internet, die Medien, bis hin zu Gebrauchshinweisen auf Verpackungen, wie Hundefutter:
Gabi: Gabi: „Manchmal sind da Sachen, die ein bisschen unverständlich sind, die Anweisungen. Wie man die Hunde füttert, weil man denkt, ist es passend, was man füttert oder es ein bisschen zu viel oder welche Gewichtsklasse die Hunde auch sind. Das ist ein bisschen zu umständlich und auch die Schrift ist teilweise zu klein und auch viel auch in Englisch.“
Moderation: Moderation: Die Controllettis engagieren sich deshalb auch politisch: Wenn sie Leichte Sprache vermissen, dann schreiben sie Briefe, E-Mails und kontaktieren Verantwortliche und Politiker*innen:
Inge: Inge: Und wenn wir zum Beispiel seit Monaten E-Mails an den rbb schreiben, weil wir uns Nachrichten in Leichter Sprache wünschen für Brandenburg und Berlin und nicht immer nur die Nachrichten im NDR oder MDR lesen wollen, und wir dann noch nicht mal eine Antwort kriegen und wir das Gefühl haben, das interessiert eigentlich niemanden. Das finde ich schon sehr frustrierend, dass so Menschen mit Behinderung schlichtweg nicht gehört werden, selbst wenn sie sich dann Gehör verschaffen wollen. Also wir haben schon ganz viele E-Mails geschrieben in ganz vielen verschiedenen Lebensbereichen und wir haben von all den E-Mails glaube ich zwei Antworten bekommen und es sagt auch was aus, wie wichtig die Meinung oder die Belange von Menschen mit Behinderungen sind: nämlich offensichtlich gar nicht wichtig.
Moderation: Moderation: Inge hat das Prüfbüro für Leichte Sprache mit aufgebaut:
Inge: Inge: „Ich habe auch davor als Übersetzerin gearbeitet für Fremdsprachen und bin dann über meine Pflegetochter mit Beeinträchtigung zur leichten Sprache gekommen und dachte mir dann Pandemie Zeit: Ich hatte kaum Übersetzungsaufträge und habe diese Lücke gefüllt mit der Ausbildung zur zertifizierten Übersetzerin in Leichte Sprache. Und um dieses Qualitätssiegel verwenden zu dürfen, brauchte ich ein Prüfbüro und die nächsten Prüfbüros gab es in Bremen, in Osnabrück, in Augsburg aber kein einziges in Brandenburg. Und ich wollte, dass wir auch in Brandenburg ein Prüfbüro haben und habe dann mit der Landesbehindertenbeauftragten, mit Janny Armbruster, gesprochen. Und sie hat das zum Teil mitfinanziert die Ausbildung und sodass wir dann heute zehn Prüferin und Prüfer haben hier in Teltow, die für das Land Brandenburg, aber teilweise auch aus anderen Bundesländern, übersetzen.“
Moderation: Moderation: Wie heute aus dem Land Baden-Württemberg.
Cindy: Cindy: Der RS2 geht von Heidelberg nach Mannheim oder von Mannheim nach Heidelberg.
Controllettis: Controllettis: Das ist doppelt. - Ja, genau so ist es auch. - Das muss nicht sein. - Oder von Mannheim nach Heidelberg. - Also eigentlich ist es ja logisch, dass man in beide Richtungen fahren kann. - Der RS2 geht von Heidelberg nach Mannheim. Und zurück und. Das würde ich mal sagen
Gabi: Gabi: Ich finde es gut, dass wir eine kleine Runde sind und dass wir auch ganz gut zueinander passen. Also wir haben uns drauf und untereinander eingespielt und jeder weiß, was der andere kann und wo er noch Schwächen hat. Und das machen wir dann auch durch andere wett.
Inge: Inge: Das finde ich auch total schön, dass sie so schnell so ein Team geworden sind und alles erlaubt ist. Es ist erlaubt, Fehler zu machen. Es ist erlaubt zu sagen heute kann ich nicht lesen, es kann hier jeder so sein, wie er will.
Cindy: Cindy: Mit einem Radschnellweg wechseln viele Menschen vom Auto zum Fahrrad.
Moderation: Moderation: Die Broschüre ist fast fertig Korrektur gelesen.
Inge: Inge: Seid ihr mit dem Text einverstanden? Ist der gut zu verstehen?
Moderation: Moderation: Seit einem Jahr gibt es das Büro für Leichte Sprache schon – die zehn Controllettis haben unzählige Texte geprüft – und sie haben immer wieder aufmerksam gemacht auf das Thema. Letztens waren sie in der Staatskanzlei in Potsdam eingeladen, um über Leichte Sprache und das Prüfbüro zu berichten. Wie wichtig ihre Arbeit ist, dass spüren sie tagtäglich in ihrem Alltag.
Tobias: Tobias: Es sollte überall auf der Welt leicht Sprache geben. Dann verstehe ich alles besser.
Michael: Michael: Dann würde es vielleicht leichter sein für uns. Vielleicht irgendwie Formulare ausfüllen. Das würden wir denn eher alleine hinbekommen, anstatt hier Betreuer oder ähnliches zu fragen.
Inge: Inge: Und ich würde mir wünschen, dass alle Menschen mit Beeinträchtigungen viel Kontakt mit Leichter Sprache bekommen, ihre Welt verständlich gemacht bekommen durch Leichte Sprache und damit auch nicht immer dastehen wie die Dummen, die es nicht verstehen, sondern einfach in aller Selbstverständlichkeit am normalen Leben teilnehmen können. Und das ist eigentlich ein so einfacher, simpler Anspruch. Das sollte uns nicht zu viel verlangt sein, das zu erfüllen.
Musik: Musik
Moderation: Moderation: Das war die neunte Folge unserer Podcast-Serie „Vielfalt in Brandenburg“ der Heinrich Böll-Stiftung Brandenburg. Wenn Euch die Reportage gefallen hat, dann hört euch auch die Folgen eins bis acht an – und abonniert uns. Für diesen Podcast sind meine Kolleginnen Franziska Walser, Bettina Ritter und ich in Brandenburg unterwegs – wir stellen Menschen vor, erzählen ihre Geschichten und begleiten sie mit dem Mikro. Ich bin Vanessa Loewel und danke fürs Zuhören.
Jingle: Jingle: Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg.
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