Dorfladen Golzow

Shownotes

Zu einem lebendigen Dorf gehören öffentliche Orte, an denen man sich trifft. Das merkten die Bewohnerinnen und Bewohner von Golzow im Oderbruch, als nach der Bankfiliale auch der letzte Kaufladen dicht machte. Getragen von Engagement aus dem Dorf, mit Fördergeldern und unterstützt von Studierenden der Uni Darmstadt entstand die Vision von einem „Dorfladen Plus“. Hier sollen Nahversorgung und Begegnung zusammentreffen. Neben Nahrungsmitteln könnte es dort auch eine Tauschbörse geben, Workshops oder Raum für einen mobilen Friseurladen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg: Baurechts- und Organisationsfragen sind noch offen. Aber schon der Prozess dahin ließ das Dorf enger zusammenrücken.

Kleine Korrektur: Es gibt nur drei Golzows in Brandenburg.

Dorfrundgang durch Golzow im Oderbruch: http://www.golzow-oderbruch.de/Dorfrundgang

Dorfbewegung Brandenburg – Netzwerk Lebendige Dörfer: https://lebendige-doerfer.de

Dokumentation des Summerschool-Projektes mit Förderung der Sto-Stiftung: https://www.deutsches-stiftungszentrum.de/aktuelles/2020_06_23_sto-stif…

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Peter: Peter: Jetzt haben wir keine Kaufhalle mehr, wir haben keine Post mehr, wir haben keine Apotheke mehr. Wir sind also – ohne Auto bist du praktisch am Arsch der Welt.

Bürgermeister: Bürgermeister: Als Freunde mich das erste Mal besucht haben – nach der Wende – haben die festgestellt: „Mensch das ist ja wie in Amerika bei euch. Wenn ihr was wollt setzt ihr euch ins Auto und fahrt los.“

Christoph: Christoph: Eigentlich suchen die Leute einen festlichen Ort oder einen Treffpunkt. Wo einfach man zusammenkommen kann ohne irgendeinen tieferen Sinn, dass man einfach mal quatscht oder so was, weil inzwischen viele Dörfer – und das ist auch immer wieder die Angst vieler Leute vor Ort – dass es halt so ein Schlafdorf wird.

Klaus Dieter: Klaus Dieter: Und dann war der Laden weg. Zur gleichen Zeit war es so, dass die Sparkasse von Golzow weg ging. Und dann hat sich – wenn man will – die erste Bürgerinitiative von Golzow gebildet. Daraus ist entstanden der Verein „Golzower für Golzow“.

Jingle: Jingle: Vielfalt in Brandenburg

Moderation: Moderation: Ich bin Franziska Walser und das ist der siebte Teil unserer Reihe „Vielfalt in Brandenburg“. In diesem Podcast wollen wir Menschen aus Brandenburg und ihre Lebensentwürfe vorstellen und darüber sichtbar machen, wie vielfältig Brandenburg ist. In dieser Folge stelle ich euch nicht eine einzelne engagierte Person vor, sondern ein ganzes Dorf. Man könnte auch sagen: Ich nehme euch mit an einen Ort, den es noch gar nicht gibt. Den „Dorfladen Plus“ in Golzow.

Christoph: Christoph: Ungefähr 80 Kilometer östlich von Berlin raus. Das heißt, wenn man immer auf der B1 geradeaus fährt vom Alex. Dann kommt man in Golzow an, mehr oder weniger.

Moderation: Moderation: Golzow liegt im Oderbruch – eine ganz besondere Landschaft, die durch die Trockenlegung des ehemals sumpfigen Stromgebietes der Oder entstand. Sehr viel östlicher kann man in Deutschland kaum kommen. Als ich am Dorfplatz ankomme empfängt mich eine Willkommens-SMS aus dem polnischen Mobilfunknetz. Golzow teilt sich den Namen mit vier anderen Golzows in Brandenburg. Aber für die rund 800 Einwohner, erklärt der Forscher Christoph Muth, ist Golzow im Oderbruch DAS Golzow

Christoph: Christoph: Weil sie halt früher das Vorzeigedorf der DDR waren, weil sie eine super produktive LPG, also eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, hatten und da auch immer so ihr eigenes Ding gemacht haben. Und das merkt man auch bis heute, also vor allem im Seniorenverein und in vielen anderen Stellen, wo halt sich so die LPG-Historie irgendwie niederlässt, die machen einfach ganz viel und es ist ein sehr engagiertes Dorf.

Collage vom Sonnenblumenfest: Collage vom Sonnenblumenfest: Schlagermusik „Schön war die Zeit“ und Ansage vom Moderator: Freuen sie sich auf die Kinder der Grundschule Kinder von Golzow…

Moderation: Moderation: Golzow trägt den Beinamen „Ort der Kinder von Golzow“. Das Dorf ist stolz auf seinen Platz in der Filmgeschichte. Über 45 Jahre hinweg haben Barbara und Winfried Junge in ihrer Langzeit-Dokumentation „Die Kinder von Golzow“ eine Schulklasse aus dem Dorf beim Erwachsenenwerden gefilmt – über das Ende der DDR hinaus, das unter anderem das Ende für die örtliche LGP bedeutet.

Christoph: Christoph: Diese Genossenschaft ist geschrumpft von, ich glaube damals um die 800 Leute, quasi das halbe Dorf war in der Genossenschaft. Auf jetzt 50 Leute, von denen halt die meisten auch in der Verwaltung arbeiten.

Moderation: Moderation: Mein Besuch in Golzow fällt zusammen mit dem jährlichen Höhepunkt des Dorflebens: Dem Golzower Sonnenblumenfest. Die Kinder der Schule „Kinder von Golzow“ führen ein Singspiel auf. Auf dem Platz rund um das Gemeindezentrum stehen Bierbuden, eine Gulaschkanone, ein kleines Karussell und Rummelplatzbuden. Wie ein „Schlafdorf“ wirkt Golzow an diesem Samstag im September nicht. Aber der Eindruck täuscht: Wer in Golzow ein Paket Zucker kaufen will, ein Rezept einlösen oder Geld abheben, der muss nach Manschnow oder in die Kreisstadt Seelow fahren. Früher – vor der Wende – gab es im Dorf zwei Kaufhallen und den LPG-Hofladen. Später wenigstens noch einen kleinen Supermarkt.

Bürgermeister: Bürgermeister: Als ich 2014 Bürgermeister werden durfte, war der letzte Dorfladen gerade am überlegen: Halte ich, halte ich nicht? Und hat dann geschlossen. Und seitdem ist eigentlich das eines der Themen, was mich immer wieder so beschäftigt: Wie kriegen wir hier eine Nahversorgung hin? Und als dann noch unsere Bäcker-Verkaufsstelle gesagt hat: „Also es geht irgendwie alles nicht mehr, das ist wirtschaftlich nicht mehr tragfähig“, haben wir gesagt: Wo können wir da anfassen? Und da hatte ich dann halt die wichtige Zusammenarbeit mit der TU wo Christoph Muth ist – oder war.

Moderation: Moderation: Frank Schütz, der Bürgermeister von Golzow, hat die Nahversorgung zu seinem Projekt gemacht. Der erste Erfolg war, dass die Bäckerei nicht aufgegeben wurde, sondern nur die Öffnungszeiten reduzierte. Man bekommt immer noch Schrippen in Golzow – aber nur wenn früh genug aufsteht. Außerdem halten immer mittwochs mobile Marktstände auf dem Dorfplatz, ein Gemüsehändler aus Polen und eine fahrende Fleischerei. Aber Golzow – DAS Golzow – wollte sich nicht damit abfinden ein Dorf ohne Dorfladen zu sein. Deshalb suchte der Bürgermeister Frank Schütz den Kontakt zu dem Architekten und Städtebauer Christoph Muth. Der Forscher war 2017 Teil eines EU-Forschungsprojektes, das die Transformation im südlichen Oderbruch erforschen sollte. Und so traf der Theoretiker aus Westdeutschland auf die engagierte Dorfgemeinschaft in Golzow.

Christoph: Christoph: Mir macht das Riesenspaß, einfach da zu sein. Man hat halt so einen wuseligen Haufen an Leuten, die irgendwie auch immer viele Ideen haben. Das heißt, es kann auch schnell überwältigen. Aber sind auf jeden Fall sehr engagiert, denken auch sehr laut und sehr kritisch nach. Was mir persönlich auffällt. Und ich als Außenseiter oder auch als der Wessi kriegt dann gerne auch mal irgendwie ja. (lacht)

Moderation: Moderation: Einen „richtigen“ Dorfladen hat Golzow – noch – nicht. Aber trotzdem ist in den vergangenen vier Jahren viel passiert: Studierende der Uni Darmstadt haben eine multifunktionale Ladeneinrichtung entworfen und gebaut, es gab Open Air Kino-Abende, Treffen der Nähgruppe, Gurken-Limo-Produktion aus Gemüsespenden… Das wichtigste Ergebnis aber bisher – und gar nicht mehr aus Golzow wegzudenken: der monatliche Regionalmarkt auf dem Dorfplatz. Eigentlich findet er freitags statt, aber wegen des Sonnenblumenfestes haben die Händler ausnahmsweise an einem Samstag ihre Stände auf der zentralen Dorfwiese mit dem Kriegerdenkmal aufgebaut. Musikalische Untermalung gibt es auch. Snorre Fjeldstadt ein norwegischer Übersetzer und Musiker, der mit seiner Familie zwischen Berlin und Golzow pendelt, hat sein E-Piano im Schatten eines Baums aufgebaut.

Klaviermusik: Klaviermusik

Sabina: Sabina: Honig müsste da sein mit selbstgestrickt Socken sag ich mal – die heute bestimmt reißend weggehen. Martin ist immer toll mit den Blumen. Der Räucherfischstand ist auf alle Fälle da habe ich gesehen. Und dann: Es ist ja so ein Zusatz auf dem Weg zum Sonnenblumenfest

Moderation: Moderation: Die beiden älteren Damen, die mit Strickzeug hinter einem Ständer mit bunten Wollsocken sitzen, werden heute – an einem Spätsommertag mit über 30 Grad – nicht gerade von Kundschaft überrannt. Dafür ist ordentlich Betrieb am „SeniorenGrill“ wo die Mitglieder des Golzower Seniorenvereins Bratwürste, Wildleberwurst und Brombeermarmelade verkaufen. Hinter dem Grill steht Peter – 82 Jahre alt –, der in den 70er Jahren als Schwimmlehrer nach Golzow beordert wurde. Das Vorzeigedorf der DDR hatte damals das einzige Lehrschwimmbecken weit und breit.

Atmosphäre Wurstverkauf: Atmosphäre Wurstverkauf

Peter: Peter: Mittags kommen alle und wollen mit mal alle eine Wurst. Und ich muss dann vorbereitet sein und mach immer hier. Ich habe hier extra so eine Pfanne…

Moderation: Moderation: Neben den klassischen weißen Rostbratwürsten – aus dem großen Filial-Supermarkt in Seelow – brutzeln heute auch kleinere rote Würstchen auf dem Seniorengrill. Hallalwürste aus einem arabischen Supermarkt in Berlin.

Peter: Peter: Das hat mir Christoph gebracht. Das ist Wurst ohne Fleisch. Dass soll beitragen zur Willkommenskultur unserer Neubewohner von Golzow – Weil die kein Schwein essen? – Jaja

Atmosphäre mit Kinderstimmen in Fremdsprache: Atmosphäre mit Kinderstimmen in Fremdsprache

Moderation: Moderation: Der Markt soll nicht nur ein Ort der Nahversorgung, sondern auch der Begegnung sein. An einem Basteltisch blasen Kinder Luftballons auf. Sie sind als Geflüchtete mit ihren Eltern nach Golzow gekommen. Die neuen „Kinder von Golzow“.

Peter: Peter: Vor 3 Jahren waren wir so was von dankbar und zufrieden, dass sie hier waren. Wenn sie nicht gekommen wären, wäre unsere Schule geschlossen worden. Wir hätten in diesem Jahr die Erste Klasse nicht vollgekriegt.

Moderation: Moderation: Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Brandenburg liegt bei rund 47 Jahren. Der Anteil der Menschen über 65 Jahre – also im Rentenalter – hat sich laut den Zahlen des „Bund-Länder Demografieportals“ seit 1990 verdoppelt. Kein Wunder, dass der Golzower Seniorenverein die wichtigste Säule des Dorflebens ist. Und nicht alle Senioren im Dorf sind so fit wie die, die beim Regionalmarkt am Grill stehen. Wer im Alter allein lebt, wer nicht mehr Autofahren darf oder sich kein Auto leisten kann, der muss in Golzow erfinderisch werden.

Christoph: Christoph: Da gibt es verschiedene Strategien tatsächlich. Also einmal kann man ganz banal mit dem Bus fahren in die Kreisstadt nach Seelow. Viele gehen dann dort in so einen großen Vollversorger, der sich noch mit anderen Geschäften um so einen gigantischen Parkplatz gruppiert. Und dann haben sie halt alle ihren sogenannten „Hackenporsche“ dabei und machen den voll und kommen dann wieder. Aber das ist halt im Prinzip eine Aufgabe, die füllt dann schon mehrere Stunden. Genau das ist so die eine Möglichkeit. Die andere, die ich gelernt habe, die einerseits ziemlich charmant, aber andererseits auch ziemlich traurig ist: Dass viele ältere Damen – vor allem die, die in den sogenannten Neubauten, also in diesen Mehrfamilienhäusern wohnen. Die schließen sich dann zusammen zu Einkaufstaxis und der Taxifahrer dann mit denen einen speziellen Deal abgemacht, so dass er sie hinbringt, wartet und zurückbringt. Und das ist auch zu einem fairen Preis. Aber es sind dann trotzdem wieder einige Euros, die dann obendrauf kommen auf den Einkauf. Und es ist natürlich immer gepaart mit der Idee: Ich muss meine Leute ansprechen, ich muss die alle zusammen bekommen, wir müssen alle gleichzeitig Zeit haben. Das ist dann schon mehr Engagement. Aber einigen würde ich unterstellen, dass sie da definitiv auch viel Spaß dran haben.

Moderation: Moderation: Der Forscher Christoph Muth ist über die Jahre ein Experte für die Versorgungslage im Dorf geworden. Er weiß, dass viele Bewohnerinnen und Bewohner – auch im hohen Alter noch – aufwendige Gemüsegärten betreiben. Das Selbstversorgen und Einkochen sind Teil der Dorfidentität. In Workshops mit Interessierten aus dem Dorf und Studierenden von der TU Darmstadt wurde herausgearbeitet, wie ein moderner Dorfladen an solche Versorgungs-Traditionen anknüpfen kann.

Christoph: Christoph: Während der DDR gab es die sogenannte OGS, das waren die „Obst und Gemüsestation“ und da haben die Leute am Feierabend dann die Sachen geerntet, da hingebracht und haben dafür unglaublich viel Geld bekommen – damals. Und so hatten wir überlegt: Wie kann man daran anknüpfen? Weil wir merken in Golzow ganz stark, dass dieses Bewusstsein und die Erinnerung an die DDR ganz stark ist und dass daraus auch ganz viele pfiffige Ideen entstehen. Ohne irgendwelchen politischen Beigeschmack, sondern einfach nur, weil es sehr passig war für den Ort. Und weil auch viele Leute gute Erinnerungen daran haben.

Moderation: Moderation: Auch der Ort, den die Dorfladen-Visionäre sich ausgesucht haben, atmet Dorfgeschichte: Ein einstöckiger Pavillon direkt am Dorfplatz, der teilweise von der Bäckerei genutzt wurde und teilweise leer stand – bis das Dorfladen-Labor ihn vor vier Jahren mit neuen Leben gefüllt hat.

Christoph: Christoph: Also das Gebäude selbst steht auf dem Grundstück von jemandem, der glaube ich zu Beginn der DDR in den Westen geflohen ist. Und die Person ist nie wieder zurückgekommen. Während der DDR im Sozialismus wurde quasi das Grundstück dann vergemeinschaftet. Und dann, irgendwann später wurden da aus verschiedenen Fundsachen oder Baumaterialien vom Bauhof der Genossenschaft, quasi im Gemeindeauftrag, wurde so eine Art Provisorium gebaut. Also das hat seinen eigenen Charme, aber es ist nicht besonders schön. Ursprünglich hätten wir auch einen anderen Raum im Gemeindezentrum bekommen sollen. Der wurde dann aber aus verschiedenen Gründen von uns als Gruppe disqualifiziert. Und da haben wir gesagt: Mitten im Dorf ist doch dieser Leerstand, dieser kleine Bau, wo auch die Bäckerei drin ist. Und dann haben wir uns das einfach angeeignet in so einer Nacht und Nebelaktion. Und zuletzt muss es ein Blumenladen gewesen sein, weil da steht auf jeden Fall noch auf dem Schlüssel.

Moderation: Moderation: Nachdem klar war: hier soll der Dorfladen entstehen, wollte die Gemeinde das Gebäude und das Grundstück kaufen. Das sei die Voraussetzung dafür, dass die Gemeinde dort mit öffentlichen Geldern investieren darf, erklärt mir Bürgermeister Frank Schütz bei einem Interview am Rande des Regionalmarkts

Bürgermeister: Bürgermeister: Das ist ja die Sache, dass wir jetzt nur hüllenmäßig arbeiten können. Ich kann ja eigentlich keine Lichtinstallation oder nichts machen, kein Fenster wechseln, weil ich würde ja in ein ungeklärtes Gebäude investieren. Und das ist jetzt die Klärungsfrage, da wollen wir hin. Und wenn die durch ist, dann können wir den nächsten Schritt machen, dass wir sagen: So, und was machen wir jetzt?

Moderation: Moderation: Auf dem Regionalmarkt, der natürlich auch eine Nachrichtenbörse ist, macht heute die neueste Entwicklung in Sachen Dorfladen die Runde: Die Besitzverhältnisse unter den Erben des Grundstücks sind endlich geklärt. Dank der Beharrlichkeit einer Gemeindemitarbeiterin. Das Grundstück kann gekauft werden. Die Mittel dafür stammen aus dem Förderprogramm „Zusammenhalt in kleinen Gemeinden und Ortsteilen für eine zukunftsorientierte Regionalentwicklung“ von der Investitionsbank des Landes Brandenburg. Dort werden Maßnahmen gefördert, die „zum Erhalt oder zur weiteren Stärkung des Zusammenhalts in kleinen Gemeinden oder Ortsteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf hinsichtlich der Daseinsvorsorge oder der Gemeinschaft“ beitragen. Der geplante Dorfladen könnte am Ende beides sein: Daseinsvorsorge UND ein Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft.

Christoph: Christoph: Die Hürde aus der eigenen Wohnung rauszugehen ohne irgendeinen Grund, ist also zunehmend größer glaube ich bei vielen Menschen. Da ist es halt dann schön, wenn man so einen Ort hat, an dem vielleicht man einkaufen kann. Das heißt, vielleicht kauft man nur so ein bisschen Sahne, Zucker, Butter, ich weiß es nicht, irgendeine Kleinigkeit und dreht dann wieder um. Oder man hat vielleicht noch die Möglichkeiten, einen Kaffeebetrieb da drin ein bisschen am Laufen zu halten oder man bringt was mit. Also da gibt es auch schon verschiedene Ansätze.

Ladenatmosphäre: Ladenatmosphäre: Haben wir einen Wasserkocher? Ich bringe einen…

Moderation: Moderation: Während die Gemeinde die Besitzverhältnisse geklärt hat, haben Christoph Muth und engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus Golzow, die Idee wach und den Ort lebendig gehalten. Mit Förderung der „Sto Stiftung“ konnten Studierende der TU Darmstadt ein Semester lang Konzepte entwickeln, Probeverkäufe organisieren und Ladenmöbel schreinern. Um den Wandel auch von außen sichtbar zu machen, leuchtet eine Pergola mit gelbem Sonnensegel vor dem Laden. Die Bäckermeisterin, die erst Angst vor Konkurrenz hatte, nutzt den neu entstandenen gemeinsamen Eingangsbereich inzwischen als Cafè-Sitzecke. Weil die Gemeinde nichts in den Ausbau investieren durfte, packten die Bewohner selbst an.

Christoph: Christoph: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wenn man an so einem Dorf rüttelt und schüttelt und ein bisschen genauer hinguckt und 123-mal mehr nachfragt. Da findet man viele Ressourcen und auch Sachen, die einfach so vor sich hin schlummern. Und das haben wir auch gemerkt, im Designprozess zum Beispiel: Wir hatten unglaublich viel Material bestellt. Aber unglaublich viel hat dann auch gefehlt. Und dann gingen die ganzen Garagen auf und die Schuppen gingen auf und dann kam dieses andere Zeug ran. Und auch allein, dass man dieses Engagement hat, dass man denkt: Okay, entweder wir müssen jetzt diese Fenster austauschen oder der Seniorenverein hat sich heute bereit erklärt, die alle zu renovieren. Und dann plötzlich „bumm“ sind halt alle Fenster raus aus dem Laden und man sieht dann die Leute in ihrem Blaumann und dem Kittel die Dinger wieder reparieren. Und jetzt sind sie alle wieder da und funktionieren. Und es gibt ein Ressourcenbewusstsein und es stammt auch ganz stark aus der DDR ganz viel. Also es wurde nie irgendwas weggeschmissen. Und auch ohne das glorifizieren zu wollen. Aber das sind halt spannende Anknüpfungsstellen, wo man jetzt irgendwie ran kann.

Moderation: Moderation: Moderation Im Hauptraum des Ladens steht auf von Studenten gebauten Holzschränkchen ein „Prominent DUO“ Radiogerät vom VEB Stern-Radio Sonneberg. Auch das eine Dorfspende. Die alte Filterkaffeemaschine wurde gerade durch eine chromglänzende und wesentlich größere Gastronomiemaschine ersetzt, um den Kaffeedurst der Marktbesucher zu stillen.

Sabina: Sabina: Ich hab dann privat die Thermoskannen mitgebracht. Also wie ich die ersten Male hier angekommen bin – oder jeder von uns – vollbepackt mit allen Utensilien weil wir hier nix hatten. Also das macht schon was aus. Das erleichtert schon. Und jetzt bringe ich nur noch das Waffelzeug mit. Ist nicht schlimm packe ich in die Tasche. Also es ist schon ein bisschen was schöner geworden.

Moderation: Moderation: Sabina lebt in Golzow und organisiert gemeinsam mit Janina den monatlichen Regional Markt. Wie immer gibt es dort auch heute einen Dorfladen-Stand. Was dort an Einnahmen mit Waffeln, Kaffee und Kuchen erzielt wird, fließt zurück in Markt und Laden.

Sabina: Sabina: Wären noch einige Sachen wenn Geld da wäre: Ein riesengroßer Marktschirm. Und dann wäre schicke ne schicke Lichterkette. Auch für den Weihnachtsmarktbaum, den wir dann in ne Hülse mitten auf dem Platz damit der Weihnachtsbaum in diesem Jahr zentral stehen kann.

Moderation: Moderation: Janina Briesemeister, die dritte im Markt-Team, finde ich hinter ihrem eigenen Stand. Sie verkauft Oderbruch-Postkarten, Kalender und Kühlschrank-Magnete die sie mit ihrer Firma Briese-Design entworfen hat. Am Stand daneben verkauft Janinas Sohn – ein junger Vater – Babyklamotten, aus denen das Kind herausgewachsen ist. Janina lebt erst seit 2017 in Golzow. Eine Zugezogene – wenn auch nur aus dem 14 Kilometer entfernten Friedersdorf. Wenn man sie fragt, wie sie im Dorf aufgenommen wurde sagt sie „Det war komplikationslos“ und „Hier kann man sich einbringen, wenn man will“

Janina: Janina: Explizit kümmere ich mich mit Christoph und Sabina hier tatsächlich um den Markt. Immer einmal im Monat. – Ist ja viel Arbeit. Ist alles Ehrenamt? – Ist Ehrenamt. Aber was heißt eine Menge Arbeit. Man hat ja so seine Stammhändler. Natürlich muss man ein bisschen organisieren Da gibt’s ne WhatsApp-Gruppe. Ist schon fast würde ich sagen ein Selbstläufer geworden.

Moderation: Moderation: Damit der Regionalmarkt seinen Namen zurecht trägt, sprechen Janina und Sabina gezielt Produzentinnen und Produzenten aus dem Oderbruch an. Zum Beispiel die „Gärtnerei und Baumschule Arndt“ aus Küstrin.

Gärtner: Gärtner: Ich betrachte die ganze Sache als Mischung zwischen Eigenwerbung und ein bisschen Umsatz. Und das andere: Das ich das unterstütze wenn die Dörfer überhaupt noch was machen.

Marktatmosphäre: Marktatmosphäre: Pflanzenverkauf (Bitte, danke …)

Marktbesucher: Marktbesucher: Kann man schon sagen, dass wir Stammgäste sind. Das man mal wieder Golzower trifft. Weil das ist hier schlecht. Und da trifft man doch etliche von früher, von der Arbeit. Das man allgemein mal wieder quatscht, weil das ja doch ein bisschen auseinandergeht.

Christoph: Christoph: Ich glaube, der Markt ist halt so ein ganz wichtiger Platzhalter im Prinzip, wo aber inzwischen auch gesagt wird: Nein, also auch wenn der Laden kommt, wir begeben den Markt jetzt nicht mehr auf. Das ist eigentlich ganz schön. Aber genau, es gibt noch viele offene Baustellen, auf jeden Fall in diesem Projekt.

Moderation: Moderation: Jetzt, wo es nach dem Kauf des Grundstücks wirklich losgehen kann mit dem Dorfladen, stehen wichtige Entscheidungen an: Soll der Laden als Genossenschaft betrieben werden, so dass er den Dorfbewohnern in Anteilen gehört? Soll ein Trägerverein gegründet werden? Sicher ist: Wirtschaftlich rentabel wird der Laden nur sein, wenn er weiterhin vom Engagement aus dem Dorf getragen wird. Dafür dürfen die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner aber auch mitbestimmen, was in „ihrem“ Laden passieren soll.

Christoph: Christoph: Post ist gewünscht. Es war immer gewünscht, auch irgendeine Form, dass man Geld abheben kann. Klar, Nahversorgung ist sehr gewünscht. Es ist aber auch sehr, sehr gewünscht, einfach einen multifunktionalen oder einen funktionslosen Raum zu haben, wo man vielleicht auch sagen könnte: Hier könnte ein mobiler Friseur vorbeikommen. Und ganz wichtig soll auch rein: Eine Küche, eine stabile, in der dann zum Beispiel auch Sachen weiterverarbeitet werden kann. Sodass zum Beispiel diese ganzen Obstbäume, die ums Dorf rumstehen, wieder beerntet werden können und dann auch gemeinschaftlich zu Produkten weiterverarbeitet werden können.

Moderation: Moderation: Neben dem Arbeitseinsatz im Laden braucht es auch ein Umlernen beim Konsum damit der Laden ein Erfolg wird. Die „niedrigpreisigen Vollversorger“ wie es in der Fachsprache heißt, also die Discounter in der Kreisstadt, werden immer ein größeres Sortiment haben und billiger sein. Wer einen Dorfladen will, der muss dort auch einkaufen. Darüber komme ich am Seniorengrill mit Klaus-Dieter Lehmann ins Gespräch, der vor Frank Schütz Bürgermeister von Golzow war.

Klaus Dieter: Klaus Dieter: Bin gerade in Norwegen gewesen und bin auf einer kleiner Insel gewesen wo ein Dorf mit 150 Einwohnern ist. Und die haben auch so einen Dorfladen. Die haben diesen Dorfladen über eine Genossenschaft gebildet und am Ende wird ausgezahlt oder man muss eben noch ein bisschen mehr einzahlen. Die die arbeiten müssen, die fahren von der Insel frühmorgens raus zum Arbeiten nach Molde. Aber die kaufen nicht in Molde ein. Sondern die kaufen in ihrem kleinen Laden ein.

Bürgermeister: Bürgermeister: Da kann man nur was dagegenstellen, indem wir ein Angebot schaffen, was anders ist als das Angebot, was wir im Supermarkt haben. Und das was mich irgendwie sehr freut: Wenn ich jetzt unseren Gemüsehändler sehe, Marek oder eben auch die Wurst von Herrn Lehmann, haben wir was ganz anderes als im Supermarkt. Und wir haben Kundschaft in den Ortschaften, die ja extra deswegen auch hierher kommen zu diesem Markt, und sagen: Wir zahlen gerne diesen kleinen Punkt mehr, weil wir wissen genau: wo kommt es her.

Moderation: Moderation: Der Zusatz Plus im Dorfladen Plus von Golzow könnte für vieles stehen: Für mehr Angebote vor Ort, für längere Öffnungszeiten, für mehr Bezug zu Produzentinnen und Produzenten. Für mehr Teilhabe von älteren Menschen und mehr Austausch im Dorf.

Christoph: Christoph: Was mache ich jetzt in diesem Dorf, wenn ich irgendwie keinen Grund habe rauszugehen? Dann bleibe ich zu Hause und dann ist es aber so ein Leben, was sich wahrscheinlich die meisten nicht wünschen einfach nur so dazusitzen und was weiß ich, Fernsehen zu gucken oder ein Buch zu lesen. Irgendwann hat man dann auch alles durch oder es ist irgendwie sehr repetitiv. Aber es könnte eigentlich so um die Ecke sein.

Moderation: Moderation: Das war der siebte Teil unserer Podcast-Serie „Vielfalt in Brandenburg“ über das Projekt „Dorfladen Plus“ in Golzow. Im nächsten Teil dieser Reihe porträtiert meine Kollegin Bettina Ritter die Potsdamer Künstlerin, Illustratorin und Aktivistin Patricia Vester. Alle Folgen und Hintergrundinformation findet ihr auf der Website www.boell-brandenburg.de. Diese Reihe und alle weiteren Podcasts der Heinrich-Böll-Stiftung könnt ihr auf der Podcast-App Eurer Wahl abonnieren. Für Feedback und Anregungen schreibt uns eine Mail an: info@boell-brandenburg.de und empfehlt uns gerne weiter. Ich bin Franziska Walser und dieser Podcast ist eine Produktion des Audiokollektivs. Tschüss und bis zum nächsten Mal.

Jingle: Jingle: Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg.

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