Frauen im Aufbruch - Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen

Shownotes

"Wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben." Heiderose Gerber und Jeanette Toussaint haben sich 1989/90 in der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen engagiert. 1995 hat sich die Initiative zwar aufgelöst, aber sie hat in Potsdam viele Entwicklungen angestoßen und Strukturen geschaffen, die es noch heute gibt. Zum Beispiel das Autonome Frauenzentrum Potsdam. In diesem Podcast erzählen zwei Potsdamerinnen davon, wie sie damals die feministische Fraueninitiative mitgegründet haben - und wie sie noch heute für Gleichstellung kämpfen.

Ein Podcast mit:

Heiderose Gerber, Leiterin des Autonomen Frauenzentrums Potsdam

Jeanette Toussaint, Ethnologin und Kuratorin der Ausstellung "Wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben." in der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55

Link zur Ausstellung "Wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben." in der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55: https://www.gedenkstaette-lindenstrasse.de/wir-dachten-wir-koennen-die-welt-aus-den-angeln-heben-die-unabhaengige-initiative-potsdamer-frauen-1989-bis-1995/

Foto: Karoline Wolf

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Jingle: Jingle „Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg“

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Es war ja extrem aufregend. Also, ich glaube, wir hatten Energie für 24 Stunden, für Wochen, für Monate, um so viele Sachen einfach neu anzugehen.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Es war einfach so ein Gefühl von Freiheit. Also alles ist möglich. Das war einfach eine schöne Zeit und hat viele Menschen ergriffen. So bis zur Währungsunion ungefähr.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Dieses Jetzt ist alles möglich. In der DDR war fast nichts möglich und jetzt ist auf einmal alles möglich. Dass das auch ein Irrtum war, stellte sich später heraus. Aber erst mal in dieser Übergangsphase Ende 89, Anfang 90, auch bis zur Volkskammerwahl im März 1990, glaube ich, schien wirklich viel möglich.

Moderation: Moderation: Heiderose Gerber und Jeanette Toussaint waren dabei, als sich 1989/90 die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen gründete. Die Initiative hat viel bewegt für Frauen in Potsdam - trotzdem taucht sie in der Geschichtsschreibung der Wendezeit nicht auf. Das ändert sich jetzt, seit zwei Jahren gibt es ein Forschungsprojekt zur Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen – und aktuell, bis zum 8. Januar 2023 auch eine Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam. „Wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben.“ heißt sie.

Musik: Musik

Moderation: Moderation: Ich bin Vanessa Loewel und dies ist der sechste Teil unserer Reihe „Vielfalt in Brandenburg“. In diesem Podcast wollen wir Menschen aus Brandenburg und ihre Lebensentwürfe vorstellen und darüber sichtbar machen, wie vielfältig Brandenburg ist. Jetzt geht es um die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen und das, was sie bewegt hat und irgendwie noch immer bewegt. 1995 hat sie sich zwar aufgelöst, aber sie hat in Potsdam viele Entwicklungen angestoßen und Strukturen geschaffen, die es noch heute gibt. Zum Beispiel das Autonome Frauenzentrum Potsdam. Ich habe für diesen Podcast mit zwei Potsdamerinnen gesprochen, die damals die feministische Fraueninitiative mit gegründet haben.

Musik: Musik

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Mein Name ist Heiderose Gerber. Ich bin die Geschäftsführerin des Autonomen Frauenzentrum in Potsdam und mache das hauptberuflich mit vier anderen ehrenamtlichen Vorstandsfrauen.

Moderation: Moderation: Das Autonome Frauenzentrum Potsdam hatte seine Räume im Kunst- und Kulturquartier Schiffbauergasse, direkt an der Havel.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Hier treffen sich vor allem in den Abend- und Nachmittagsstunden ganz viele Frauengruppen verschiedener Nationen. Wir haben eine afrikanische Frauengruppe, eine muslimische Frauengruppe, spanische Mütter, die mit ihren Kindern hier singen, eine lesbische Frauengruppe und verschiedene Feste. Morgen ist hier eine Kleidertauschparty. Aber wir haben hier auch politische Veranstaltungen. Hier treffen sich die Fraktionärinnen der Stadtverordnetenversammlung und überlegen, welche Anträge sie gemeinsam einbringen können. Es ist eine große Vielfalt.

Moderation: Moderation: Der Regenschirm ist das Zeichen des Autonomen Frauenzentrums Potsdam. „Wir lassen keine im Regen stehen“ ist das Motto. Mit Heiderose Gerber sitze ich an einem Bistrotisch, über uns hängt ein Laken, auf dem eine Friedenstaube gemalt ist. Hinter uns steht ein grünes Sofa vor geblümter Tapete, in der Ecke Tüten mit Kleiderspenden, die nachher abgeholt werden, sie sind für das Frauenhaus. Heiderose Gerber erzählt mir, warum es „autonomes“ Frauenzentrum heißt:

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Ja heute wirkt das oft abschreckend. Für uns war das damals ganz wichtig, weil für uns hieß es vor allem parteienunabhängig und selbstverwaltet, weil in der Entstehungszeit 1990, da gab es ja aus dieser DDR-Vergangenheit und da gab es ja nur eine Einheitsmeinung, eine Einheitspartei und der wollten wir uns nicht unterordnen. Deswegen wollen wir unabhängig sein von Parteien, Kirchen und verschiedenen Konfessionen.

Moderation: Moderation: Heiderose Gerber hat das Frauenzentrum mit gegründet, 1989/90 war das: Damals war das Frauenzentrum erstmal eine Idee, eine Arbeitsgrupper der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen, zu der sich engagierte Frauen zusammen gefunden haben, im Dezember 1989.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Das war ja eine ganz bewegte Zeit damals. Es gründeten sich ja ganz viele Gruppen, also die es früher ja nicht gab. Und ich habe einfach einen Zettel an einem Baum gefunden. Da war so ein Aufruf zu einem Treffen. Und in der Zeit war man dann sofort losgestiefelt und hingegangen und traf dann plötzlich ganz viele Frauen, die man vorher gar nicht kannte. Die sich aber unter dieser Überschrift fanden und zusammen was auf die Beine stellten, war total spannend.

Moderation: Moderation: Heiderose Gerber kommt aus einer Familie, in der schon immer viel diskutiert wurde, ihr Vater war selbstständig, sie ist aufgewachsen mit einem kritischen Blick auf die DDR. Der Zettel, der da Anfang Dezember in Potsdam am Baum pinnte, sprach sie an:

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Ich fand einfach die vorgegebene DDR Frauenpolitik und das Angebot, das es gab für Frauen sehr mäßig. Ich hatte mal versucht, mit den Frauen vom Demokratischen Frauenbund, damals in Verbindung zu setzen. Und das war alles total reglementiert. Also, es gab da keine Freiräume und mir ging es darum, Freiräume für Frauen zu schaffen, die in der DDR doppelt belastet, waren aber auch andererseits sehr selbstbewusst. Also ich fand es als Alleinerziehende vor allem sehr unterbelichtet, dass es Angebote gab, wo Frauen sich treffen können.

Moderation: Moderation: Der Zettel ist jetzt in der Ausstellung über die Unabhängige Fraueninitiative in Potsdam in der Gedenkstätte Lindenstraße zu lesen.

Zitatorin Zettel: Zitatorin Zettel: „An Frauen! Was wollen wir Frauen für unsere Gesellschaft? Menschlichkeit braucht lebensfördernde Ideen und Strukturen in der ganzen Gesellschaft. Da haben wir Frauen wesentliche Erfahrungen einzubringen. Darum tut Not: ein Austausch über unsere Situation als Frau und Mutter in beruf, Gesellschaft und Familie. Gegenseitige Stärkung und Solidarität.“ Und ganz unten: „mit Kinderbetreuung!“

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Ich fand das damals ganz wichtig, dass Frauen so aus ihrer Vereinzelung rauskommen, Räume haben für sich, um sich auszutauschen und auch politisch zu vernetzen und zusammenzukommen und miteinander ins Gespräch kommen. Und was bewirken dann schließlich schlussendlich zusammen.

Moderation: Moderation: Geschrieben hat diesen Aufruf Dörte Wernick, heute Pfarrerin im brandenburgischen Zaun, und damals junge angehende Pfarrerin. Sie hat an der Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik in Potsdam studiert, sich im Studium schon mit feministischer Theologie beschäftigt.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Dörte Wernick, die den Aufruf gestartet hat zu diesem ersten Treffen am 10. Dezember 1989, der ist eben schon sehr bewusst gewesen bei den Treffen beim Neuen Forum zum Beispiel, dass schon schnell die Männer im Vordergrund standen, wenn es um Öffentlichkeit ging, aber die Basisarbeit eher durch Frauen gemacht wurde und dass aber trotzdem frauenpolitische Ziele nicht in den Anfangsprogrammen von den neuen Gruppierungen zu hören waren. Und der war klar, jetzt müssen wir was für uns tun, also sonst fallen wir hinten runter.

Moderation: Moderation: Das erste Treffen findet am 10. Dezember 1989 in der Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik in Potsdam statt – für viele mit einem durchaus mulmigen Gefühl. Im Dezember 1989 braucht es noch Mut für solche Aktionen:

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Wir müssen uns ja vorstellen. Dezember 89 – Natürlich, die Mauer war offen, aber die Staatssicherheit hat trotzdem noch gearbeitet. Niemand wusste, in welchem Maße. Ich glaube, sie hieß denn damals auch schon Amt für nationale Sicherheit. (…) und insofern wusste man nicht, wird man noch abgehört und deswegen war das jetzt nicht so: Ach ja, die Rektorin sagt ja, trefft euch hier, alles in Ordnung, sondern man musste schon damit rechnen, dass die Staatssicherheit da ein Auge drauf wirft, zumal die evangelische Ausbildungsstätte sehr stark überwacht wurde. (…) Also es war ja klar auch beim Ministerium für Staatssicherheit, dass solche kirchlichen Gruppen, die so kritisch eingestellt waren – und das war ein kritischer Studiengang, Gemeindepädagogik – dass man da besonders aufpassen musste. Und da wurden dann Lehrende wie Studierende eigentlich überwacht. Und insofern war es eigentlich zu vermuten, dass jemand dabei ist. Wir wissen es bis heuet nicht, aber hätte sein können.

Moderation: Moderation: Jeanette Toussaint führt mich durch die Ausstellung. Es ist auch ihre eigene Geschichte.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Ich arbeite als freiberufliche Ethnologin und Soziologin in Potsdam, bin Ausstellungskuratorin und Publizistin. Ich habe die Fraueninitiative mit gegründet im Dezember 1989 und habe auch bis 90 mich darin engagiert. Und es ist eine besondere Ausstellung, weil ich eben damit zugleich Forschende, aber auch Zeitzeugin bin. Und so nah sozusagen mir bisher tatsächlich biografisch noch keine Ausstellung gerückt ist.

Moderation: Moderation: Seit zwei Jahren arbeitet sie im Rahmen des Forschungsprojektes die Geschichte der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen auf und hat sich auch mit den Biographien der Frauen beschäftigt.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Was hat Frauen bewegt, sich überhaupt zu engagieren? Wo haben sie ihre Demokratisierung sozusagen her? Es ist einem ja nicht in den Schoss gelegt und das DDR Bildungssystem hat einen ja nicht dazu aufgefordert kritisch zu denken oder Aussagen in Frage zu stellen. Was ist mit den Gründerinnen? Woher hatten die ihre Ideen? Woher hatten die den Mut, so einen Aufruf zu machen? Und da ist bei den Forschungen schon ganz schnell klar geworden, es ist schon der kirchliche Rahmen gewesen, also hier für Potsdam, insbesondere die Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik. Da kamen die Gründerinnen her, Dörte Wernicke, aber auch einige andere Frauen, die sich dann in der Initiative engagiert haben. Die wird hier vorgestellt, also die Ausbildungsstätte, der Arbeitskreis Solidarische Kirche, der sich auch schon in den 80er Jahren gegründet hat und die Potsdamer Ortsgruppe in der Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik. Es gibt auch einen kurzen Teil zu: Wie war eigentlich die gesellschaftliche Situation 1989 in Potsdam, bis es so kulminierte?

Moderation: Moderation (Vanessa Loewel): Und wie war die gesellschaftliche Situation?

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Na ja, es potenzierte sich immer. Also es ging eigentlich los mit der Fälschung der Wahlergebnisse im Mai 1989, die ja dann aufgedeckt wurde durch verschiedene Gruppen.

Moderation: Moderation: Bei den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 gelang es Bürgerrechtsbewegungen ein gefälschtes Wahlergebnisse nachzuweisen.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Und die evangelische Ausbildungsstätte hat da auch maßgeblich daran mitgewirkt, dass in verschiedenen Wahllokalen unabhängige Menschen mit auszählen. Das war auch bei mir der Anfang, mich überhaupt kritisch mal zu beschäftigen. Durch eine Freundin bin ich dazugekommen und habe in Potsdam-West dann ein Wahllokal mit besucht, hab gesehen, wie da gemogelt wird und habe gedacht: Das gibt es ja gar nicht. Ja, das war so mein Anfang und für viele so eine Initialzündung.

Moderation: Moderation (Vanessa Loewel): Wie alt waren Sie damals?

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Ich war Mitte 20, und ich war zu diesem Zeitpunkt Floristin. Und durch diese Freundin bin ich dann auch zu Frauen Initiative gekommen. Die hatte mitbekommen, dass sich Frauen im Dezember treffen wollen, um mal zu gucken, was können wir jetzt hier ändern, was sind unsere Bedürfnisse, was wollen wir machen. Also einfach erst mal so auszuloten.

Moderation: Moderation: Wir stehen inmitten der Ausstellung. An den Stellwänden hängen bunte Zettel, Hand geschriebene Programme, Flugblätter, Plakate für Demos, selbst genähte Fahnen, selbst gestaltete Tates. Im Raum steht eine alte Litfaßsäule mit Wahlplakaten von 1990.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Es ist wieder mal eine farbenfrohe Ausstellung, also viel Violett, also in der Farbe damals der Frauen in der Wendezeit ist ja eine alte Frauenbewegungsfarbe, die wir damals aufgenommen haben. Und das an diesem Ort, also in der Gedenkstätte Lindenstraße, einem ehemaligen Staatssicherheituntersuchungsgefängnis, was ja dann ein Demokratieort wurde durch die verschiedenen politischen Gruppen, die dann 1990 hier einzogen und die Volkskammerwahl vorbereitet haben.

Moderation: Moderation: Von 1952-1989 war in der Lindenstraße 54/55 das Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit der DDR für den Bezirk Potsdam. Ende 1989 dann wurde das seit kurzem leer stehende Haus frei gegeben für all die neuen Bürgerinitiativen und politischen Parteien, die sich gründeten: Ein Superwahljahr stand an: 1990 gab es vier Wahlen in Brandenburg: Im März die ersten freien Volkskammerwahlen der DDR, im Mai dann die ersten freien Kommunalwahlen, dann wurde im Oktober, nach der Wiedervereinigung, eine neue Landesregierung in Brandenburg gewählt und im Dezember stand dann die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl an. In den Büros und Zellen des ehemaligen Stasi- Gefängnisses arbeiteten jetzt Bürgerrechtler*innen an der neuen Freiheit: Auch die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen bezog im Januar 1990 zwei Zimmer. Bis dahin hatten sie sich in ihren Wohnzimmern getroffen. Mit der Arbeit, die jetzt anstand, ging das nicht mehr.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Na ja, man muss sich die Zeit ja vorstellen. Es haben sich ganz viele Kommissionen gegründet, Gremien, die entweder mitbestimmen wollten. (…) In der ganzen DDR haben sich diese Runden Tische gegründet, angefangen vom zentralen Runden Tisch der DDR über die Bezirke, die Kreise, die Städte. Für Potsdam war es also der runde Tisch des Bezirkes, der runde Tisch der Stadt. Dann gab es den Rat Erfolgskontrolle, der die Auflösung der Staatssicherheit begleiten sollte. Dann gab es verschiedene Ausschüsse. Es gab die Vorbereitung der Wahlen. Es gibt die Volkskammerwahl, es gibt vorgezogene Kommunalwahlen. Und die Frauen wollten bei allem natürlich dabei sein, mitbestimmen. Und darum ging es eigentlich. Was ist jetzt wieder dran? Wer muss, wer kann zu welchem Gremium gehen? Dann ist wieder eine Demonstration geplant. Nehmen wir daran teil, machen wir eine eigene Demonstration? Was ist mit dem 8. März? Was ist das Thema? Und und und. Es war jede Woche Treffen und jede Woche neue Themen. (…) Wo kriegt man Spenden her? Wie kriegt man erste Schreibmaschinen, um die Arbeit zu erleichtern? Wie werben wir Mitglieder? Dann sollte ein Frauenzentrum gegründet werden. Was heißt denn Frauenzentrum? Man muss ein Konzept schreiben. Welche Arbeitsgruppen gründen sich? Was hat jetzt Priorität? (…) Und so wie ich jetzt schon fast außer Atem bin beim Reden, war es auch tatsächlich mit der Arbeiten. Es ging irgendwie immer schneller und auch die Wahlen gingen immer schneller und viel Wahlkampf. Das war eine irre Zeit. Und man muss ja bedenken: Alle haben nebenher gearbeitet, eine Ausbildung gemacht, studiert.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Die Kinder waren immer dabei damals. Und es war ganz selbstverständlich, dass man dafür Zeit hatte, weil man hatte ganz viel Energie plötzlich.

Moderation: Moderation: Heiderose Gerber ist damals 30 Jahre alt, Dramaturgie-Assistentin beim Spielfilm-Studio der DEFA und alleinerziehende Mutter eines 5 jährigen Sohnes.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Das war schon so eine anarchische Zeit, weil die alten Gesetze waren irgendwie nicht mehr intakt, und neue gab es noch nicht so richtig. Also der 3. Oktober als einen Tag der Einheit, da gab es ja eine Lücke und war so ein Freiraum.

Moderation: Moderation: Und diesen Freiraum wollen sie nutzen.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Wir wollten mitbestimmen und wollten uns in diese Veränderung einbringen und wollten auf keinen Fall, dass da Frauenbelange untergehen.

Moderation: Moderation: Immerhin geht es darum, zumindest ist das damals bei vielen die Hoffnung, einen neuen Staat aufzubauen, und neue Strukturen schaffen zu können, Strukturen für eine echte rechtliche und soziale Gleichstellung der Geschlechter. Die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen sieht sich nicht als Partei, sondern als Interessenvertretung von Frauen für Frauen. Sie gehörte zum Unabhängigen Frauenverband. Das war der Dachverband für nichtstaatliche Frauengruppen und -projekte der untergehenden DDR. Im Dezember 1989 gründete er sich in Ost-Berlin bei einem großen Frauentreffen in der Volksbühne. 3000 Frauen kamen damals, schon von weitem war das Motto auf dem Banner zu lesen: „Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd.“

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Die Mahnung sozusagen und der Vorgriff auf: Wenn es tatsächlich zu einer Vereinigung mit der Bundesrepublik kommen sollte und wir das Ernährerprinzip von vielen westdeutschen Bundesländern übernehmen, dann kann es ganz schnell passieren, dass die Frauen wieder auf Heim und Herd reduziert werden. Na ja, das war die erste Angst. Und die zweite, die sich dann auch in der Forderung manifestiert hat "Arbeit für alle" war eben, dass die Frauen als erstes ihre Arbeit loswerden. Also dass zuerst entweder die klassischen Frauenarbeitsplätze reduziert werden, zum Beispiel in der Textilwirtschaft, in vielen Bereichen, also bei den ganzen bei der Schließung von Industriestandorte. Das zeichnete sich ja dann relativ schnell ab. Na ja, also es zeichnete sich zu mindestens ab der Volkskammerwahl ab. Wenn es eine wirtschaftliche Konsolidierung geben sollte muss, müssen sicherlich einige Standorte vielleicht nicht gleich geschlossen werden, aber doch sehr reduziert werden. Und viel Fließbandarbeit ist eben auch Frauenarbeit gewesen und insofern deutete es sich an, aber mit voller Wucht kam es dann eben erst doch nach der Wiedervereinigung und 1991. Also da sind die Zahlen extrem hoch gesprungen.

Moderation: Moderation: Ein drittes wichtiges Thema war das Recht auf legale Abtreibungen: Dieses Recht gab es in der DDR seit 1972. Die Potsdamer Frauen setzten sich dafür ein, dass es erhalten blieb und nicht der Westdeutsche Paragraf 218 übernommen wird, der Abtreibung als eine Straftat festschreibt, die nur innerhalb einer Frist und nach Pflichtberatung straffrei bleibt. Aber es ging nicht nur darum, bestehende Rechte zu schützen.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Also wir sind ja aus einem postulierten Staat der Gleichberechtigung gekommen und war aber klar. Nee, wir Frauen sind beileibe nicht gleichberechtigt. Deswegen war die erste Forderung Gleichstellung von Frauen, Männern und Kindern.

Moderation: Moderation: Wir stehen vor einem Hand geschriebenem Flyer, den die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen für den 8. März geschrieben hat. Mit blauem Kuli steht da: „Wir fordern:/Gleichstellung von Frauen, Männern und Kindern/soziale Sicherung Alleinerziehender Frauen und Männer/reale Gehälter für frauentypische Berufsgruppen/unbedingte Erhaltung von Kinderkrippen und Gärten und Schulhorten/mehr Männer in kinderorientierte Berufsgruppen/Gleichstellung nichtehelicher und gleichgeschlechtlicher Partnerschaften/ Gesetze für die generelle Möglichkeit von Teilzeitarbeit“

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Vieles immer noch, leider aktuell. Die Gründerinnen waren einfach schon so weitsichtig. Ja, zu dieser Zeit und das eine ist so auch das Erstaunen, aber das andere ist eben auch, wie traurig es ist, an was wir jetzt immer noch arbeiten.

Moderation: Moderation: Was konnten die Frauen mit ihren Forderungen erreichen? Bei den Volkskammerwahlen im März ist die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen über den Dachverband, den Unabhängigen Frauenverband vertreten, der Frauenverband tritt gemeinsam mit der Grünen Partei an. Das grün-lila Bündnis bekommt in Potsdam nur 3 Prozent und scheitert an der 5% Hürde. Bei der Kommunalwahl im Mai allerdings wird Gisela Opitz von der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen ins Stadtparlament von Potsdam gewählt. Bei der Landtagswahl im Oktober klappt es nicht mit einem Mandat. Aber bei der Bundestagswahl 1990 tritt der Unabhängige Frauenverband im Verbund Bündnis 90/Die Grünen an, das acht Sitze erlangt, ein Mandat geht an den Unabhängigen Frauenverband. Doch der Ausgang der Wahlen 1990, der Sieg der CDU, hat viele ernüchtert. Die Euphorie wich Erschöpfung und auch Enttäuschung.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Also, ich glaube, wir hatten Energie für 24 Stunden, für Wochen, für Monate, um so viele Sachen einfach neu anzugehen. Aber man hat auch dann gemerkt, irgendwann reicht es, irgendwann muss man sich wieder fokussieren. Ist die Kraft alle? Ist die Enttäuschung auch da, weil politisch sich nicht so viel bewegt hat und wir politisch nicht so viel Einfluss nehmen konnten, wie wir eigentlich wollten. Und dann war so eine Phase der Krise, des neu findens, des Überlegens. Wie könnte es jetzt eigentlich weitergehen? Und das war der Punkt, wo die Initiative eigentlich so ein bisschen in die Unsichtbarkeit gerückt ist und wo aber neue Projekte und Ideen entstanden sind.

Moderation: Moderation: Die Initiative selbst verliert an Bedeutung – doch viele Frauen, die sich hier engagiert haben, bringen sich weiter ein: Frauen der Initiative gründen den Frauenpolitischen Rat in Brandenburg, die Dachorganisation der Frauenorganisationen in Brandenburg, die erste Landesgleichstellungsbeauftragte kommt aus den Reihen der Initiative.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Andere Frauen sind ins damals neu entstehende Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen gegangen. Also haben diesen Frauen Bereich im Ministerium unter Regine Hildebrandt mit aufgebaut.

Moderation: Moderation: Aus den Arbeitsgruppen der Initiative entstehen Projekte, wie ein Frauencafé:

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Das Bild, vor dem wir gerade stehen, ist von der Eröffnung im Juni 1990.

Moderation: Moderation: Auf dem Foto sieht man acht Frauen, darunter auch Jeanette Toussaint, die vor einem Hauseingang stehen und lachen.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Es war auch ein toller Moment. Es gab ja nicht viel Gastronomie so in der DDR. Und plötzlich schossen die Kaffees wie Pilze aus dem Boden. Und dass wir dann auch Teil dessen sind und so einen Raum bieten konnten. Wir haben ja dann hier vor dem Haus Stühle und Tische hingestellt und am Wochenende wirklich abends bis in die Nacht gemacht. Wir haben Salate gemacht, überbacken, Toast, wir haben eine Suppe gekocht. Ja, wir haben alles selber gemacht. Und dieses Foto zeigt diese Aufbruchzeit.

Moderation: Moderation: Später engagiert sich Jeanette Toussaint im Frauengesundheitszentrum Ringelblume:

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Ich bin ja von Hause aus Gärtnerin und das hat mich schon immer interessiert, auch Wildpflanzen. Und da war ich dann schon in meinem Element und habe Kurse angeboten zur Selbsthilfe, zum Kräuter sammeln, Tees draus mischen. Bis sich das Gesundheitszentrum auch aus finanziellen Gründen auflösen musste.

Moderation: Moderation: Eines der ersten Projekte, das sich aus der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen löste, war das Autonome Frauenzentrum Potsdam.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Als dann im April 1990 klar war, es könnte ein Haus geben, haben die sich als eigenen Verein gegründet haben. Die sind quasi damit auch aus der Initiative raus gewesen. Die haben ihre Kraft da konzentriert. Und es gab schon ein Spannungsverhältnis. Es gab dann solche Beschuldigungen, Frauen aus der Initiative und aus dem Frauenzentrum hätten bei der Stasi gearbeitet und hätten da komische Kontakte gehabt. Das war einfach eine ganz, ja auch eine belastete Zeit. Es war so viel in Bewegung und so viel. Missverständnisse, auch dabei. Das hat sich dann später beruhigt. Aber ja, in dieser Anfangszeit war auch das nicht so ganz einfach mitunter.

Moderation: Moderation: 1991 engagieren sich nur noch wenige Frauen in der Initiative, auch der Dachverband, der Unabhängige Frauenverband verliert an Bedeutung und arbeitet nicht mehr als Partei, sondern nur noch als Verein weiter. 1995 löst sich die Potsdamer Fraueninitiative endgültig auf. Aber das, was sie geschaffen hat, wirkt bis heute:

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Wir haben mit dazu beigetragen, dass die. DDR in ihren Endzügen angefangen hat, demokratische Züge anzunehmen. Und wir haben für Frauenrechte gestritten, dass die, die wir schon hatten, zum Beispiel das Recht auf selbstbestimmte Abtreibung, Schwangerschaftsabtreibung erhalten bleiben. In dem Fall ist es nicht gelungen, aber an anderen Stellen schon. Dass wir frauenpolitische Rechte gesichert haben, auch dazu beigetragen haben, neue einzuführen, durchzusetzen, und dass es aus der Initiative Projekte hervorgegangen sind, die bis heute aktiv sind, wie das Frauenzentrum Potsdam. Das alles ist auch unser Verdienst mit.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Wir haben immer unsere Themen auch in der Stadt gesetzt und von der Politik.

Moderation: Moderation: Das Autonome Frauenzentrum lädt mehrmals im Jahr die weiblichen Stadtverordneten aller demokratischen Parteien ein. Über Fraktionsgrenzen hinweg beraten sie über frauenpolitische Anträge – ob und wie sie diese vielleicht auch gemeinsam einbringen wollen. Außerdem hat das Autonome Frauenzentrum zum Beispiel das Netzwerk Komplizin* gegründet. Ein Internetportal, das Frauenprojekte sichtbar macht und vernetzt. Oder es engagiert sich in einem EU-Projekt zu Medienarbeit.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Also wir machen ja hier nicht nur Kaffeetrinken. Wir versuchen halt einfach auch die Politik mit zu bewegen.

Moderation: Moderation: Heiderose Gerber ist seit 30 Jahren die Leiterin des Frauenzentrums. 1990 wird die DEFA privatisiert, sie verliert ihre Arbeit als Dramaturgieassistentin und sie steckt all ihre Energie in den Aufbau des Frauenzentrums.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Als erstes haben wir eine Art von Kinderbetreuung installiert, weil wir dachten, also gerade diese Struktur von Kindergarten und Hort Betreuung ist in Gefahr. In diesem Prozess der Wendezeit, das war das erste, was uns auf den Nägeln brannte. Was sich aber. Wir hatten wirklich kluge Konzepte. Frauen hatten aber nicht gedacht, dass Gewalt gegen Frauen ein brennendes Problem war, was sich als erstes uns aufdrängte. Also standen wirklich ganz viele Frauen in der Stadtverwaltung und auch bei uns vor der Tür, die Schutz brauchten vor Gewalt und Unterschlupf. Das war irgendwie, wie dieser ganze Aufbruch positiver Art, einfach auch ein Aufbruch. Die Frauen haben sich einfach, hatten den Mut und die Kraft, sich aus ihrer Gewaltsituationen zu befreien. Aber es gab halt diese Strukturen eigentlich noch gar nicht. Und das waren auch Frauen aus allen sozialen Schichten, die dann wirklich einen neuen Weg für sich suchten. Das Gewaltthema nimmt immer noch einen großen Raum ein und beschäftigt uns seit Anfang an.

Moderation: Moderation: Heute gibt es neben dem Frauenhaus und dem Notruf auch eine Notwohnung. Das Autonome Frauenzentrum ist gewachsen: Es gibt außerdem den Mädchentreff Zimtzicken, eine Frauenberatungsstelle und eben das Frauenzentrum als Kulturzentrum. Freiräume, Räume, um sich zu begegnen, sich auszutauschen, sich zu unterstützen – die hatte Heiderose Gerber damals gesucht, als sie 1990 den Zettel am Baum gefunden hat, mit dem Aufruf zur Gründung einer Fraueninitiative in Potsdam. Gemeinsam mit vielen anderen Frauen, die sich hier engagierten und engagieren, arbeitet sie unermüdlich daran, diese Räume zu schaffen, zu verteidigen, auszubauen und zu gestalten.

Musik: Musik

Moderation: Moderation: Am Ende meiner Interviews frage ich meinen beiden Interviewpartnerinnen, wie sie auf diese Zeit blicken.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Sie hat mich eben politisch kritischer gemacht. Und ja, das hat den Grundstein gelegt, dass ich angefangen habe, mich für Frauengeschichte zu interessieren.

Moderation: Moderation: Jeanette Toussaint beginnt Ende der 90er ein Studium der Europäischen Ethnologie, Soziologie und Gender Studies.

Jeanette Toussaint: Jeanette Toussaint: Ich fand den Geschichtsunterricht in der Schule ganz schlecht, ganz schlimm. Man musste immer Jahreszahlen lernen und hätte einfach auch nicht gedacht, dass ich mal jeweils jemals historisch arbeiten werde. Aber wenn ich es jetzt rückblickend betrachte, ist es ein roter Faden, der da seinen Anfang nimmt und sich bis heute durchsetzt. Und ich bin natürlich auch frauenpolitisch viel kritischer geworden.

Heiderose Gerber: Heiderose Gerber: Also das war schon so eine anarchische Zeit, die alten Gesetze waren irgendwie nicht mehr intakt und neue gab es noch nicht so richtig. Diese Zeit war schon toll und natürlich auch, dass man so ein System, so ein starres System man hätte nie gedacht, dass es so einfach weg sein kann. Das ist, glaube ich, auch so eine Lebenserfahrung, die nur die Leute gemacht haben, die in der DDR geboren sind und das erlebt haben. Weil ich hätte nie gedacht, dass so sang und klanglos dann doch einfach zusammenbricht. So was zu wissen, dass Veränderungen passieren können, wo man gar nicht denkt, dass es jemals geschieht. Das ist eine wichtige Lebenserfahrung, denke ich.

Moderation: Moderation: Daran möchte ich mich erinnern, wenn ich das nächste Mal denke: „Puh, das kann ich ja sowieso nicht ändern“ – denn vielleicht geht es ja doch. Einen Versuch ist es in jedem Fall wert.

Musik: Musik

Moderation: Moderation: Das war der sechste Teil unserer Podcast-Serie „Vielfalt in Brandenburg“. Noch mehr spannende Lebensgeschichten hört ihr in den anderen Folgen dieser Reihe: Meine Kollegin Bettina Ritter trifft Diversity-Agentin Nouria Asfaha und Franziska Walser ist mit der Landesbehindertenbeauftragten von Brandenburg, JannyArmbruster, unterwegs. Alle Folgen und Hintergrundinformation findet ihr auf der Website www.boell-brandenburg.de. Diese Reihe und alle weiteren Podcasts der Heinrich-Böll-Stiftung könnt ihr auf der Podcast-App Eurer Wahl abonnieren. Für Feedback und Anregungen schreibt uns eine E-Mail an: info@boell- brandenburg.de und empfehlt uns gerne weiter. Ich bin Vanessa Loewel und dieser Podcast ist eine Produktion des Audiokollektivs. Tschüss und bis zum nächsten Mal.

Musik: Musik

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