Gelebte Inklusion
Shownotes
In der vierten Folge von „Vielfalt in Brandenburg“ porträtieren wir die Landesbehindertenbeauftragte Janny Armbruster. Die geborene Ost-Berlinerin hat in ihrem Leben zahlreiche Umbrüche erlebt –politisch und privat. Eine schwere Erkrankung zwang sie als Jugendliche, ihre Lebenspläne komplett zu ändern. Seitdem ist die gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderung – vor allem auf dem Arbeitsmarkt – ein Thema, das Janny Armbruster nicht loslässt. Seit 2020 vertritt sie als Beauftragte die Interessen der rund 513.000 Menschen mit festgestellten Behinderungen im Land Brandenburg. Dabei profitiert sie von ihrer Berufserfahrung als PR-Frau, aber auch von der Erfahrung als Betroffene.
Ein Podcast mit Janny Armbruster, Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen
Website der Landesbehindertenbeauftragten: https://msgiv.brandenburg.de/msgiv/de/beauftragte/landesbehindertenbeauftragte/
Infos zur UN-Behindertenrechtskonvention: https://www.bmas.de/DE/Soziales/Teilhabe-und-Inklusion/Politik-fuer-Men…
Regionalkonkferenz „Inklusiv gestalten“ https://www.ak-berlin.de/nc/baukultur/veranstaltungen/regionalkonferenz-inklusiv-gestalten.html?event=1316
Foto: MSGIV
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Janny Armbruster: Janny Armbruster: Mein Name ist Janny Armbruster, geboren 1963 in Ost-Berlin. Und bin heute die Landesbehindertenbeauftragte des Landes Brandenburg. Und dazwischen liegen nicht ganz 60 Jahre. Die Aufgabe ist, sich um die Belange der Menschen mit Behinderung zu kümmern. Das sind immerhin im Land Brandenburg etwa 20 Prozent. Also jeder Fünfte hat hier eine Behinderung – entweder sichtbar oder nicht sichtbar. Es geht darum, sich für sie vor allen Dingen politisch zu engagieren … und vor allem dafür zu sorgen, dass in allen Belangen die die Regierung zu verantworten hat – also Gesetze, die geschrieben werden, Verordnung, die geändert werden, Regeln, die aufgestellt werden – man immer auch die spezifischen Bedürfnisse dieser Menschen mit einbringt.
Jingle: Jingle: Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg
Moderation: Moderation: (auf Soundbett) Ich bin Franziska Walser und das ist der vierte Teil unserer Reihe „Vielfalt in Brandenburg“. In diesem Podcast wollen wir Menschen aus Brandenburg und ihre Lebensentwürfe vorstellen und darüber sichtbar machen, wie vielfältig Brandenburg ist. In dieser Folge geht es um Janny Armbruster, die sich als Landesbehindertenbeauftragte in Brandenburg unter anderem dafür einsetzt, dass mehr Menschen mit schweren Behinderungen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt bekommen. Das ist Janny Armbruster auch deshalb wichtig, weil sie selbst erfolgreich diesen Weg gegangen ist: Behinderung durch Krankheit, ein Berufseinstieg mit Hindernissen – in der DDR – und der tägliche Kampf für Teilhabe, gegen Vorurteile.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Im Mittelalter wäre ich verbrannt worden als Hexe. Na ja, das sind diese Frauen. Also die Skoliosen machen – dadurch, dass sie auch die Rippen verschieben – machen diesen Rippenbuckel. Und bei mir hat man den Rippenbuckel, kosmetisch mit entfernt. Aber das sind genau die Frauen denke ich manchmal, 500 Jahre vorher, und die hätten mich auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Moderation: Moderation: Ist das in Ordnung, frage ich mich: Ein Porträt über eine Behindertenbeauftragte gleich mit ihrer eigenen Behinderung zu beginnen? Und nicht mit ihrer Arbeit: Dem Brandenburger Integrationspreis, ihren YouTube Kanal, der Durchsetzungsstelle für digitale Barrierefreiheit. Aber andererseits: Die Offenheit im Umgang mit der eigenen Behinderung ist ein essentieller Teil von Janny Armbrusters Arbeit. Genauso wie ihre Art die Dinge humorvoll auf den Punkt zu bringen. Und der Blick zurück. Ins Mittelalter – aber vor allem ins Land ihrer Kindheit. Die DDR
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Also ich persönlich habe ja sozusagen die eine Hälfte meines Lebens in der DDR gelebt und die andere meine Hälfte meines Lebens jetzt in der Bundesrepublik. Ich darf sagen, dass ich vom ersten Tag an glücklich war, über das Ende der DDR. Also nicht nur, weil der Kaffee besser schmeckte und das Klopapier weicher wurde. Sondern weil ich diese Chance auf Demokratie als großes Geschenk noch heute empfinde. Das betrifft auch eben die Arbeit für Menschen mit Behinderung. Ich kann ja etwas bewegen, und nicht nur ich – es gibt ja viele, die sich sehr engagieren und man kann immer wieder Türen öffnen und Chancen eröffnen. Das war DDR nicht.
Moderation: Moderation: Zweimal habe ich Janny Armbruster für diesen Podcast in ihrem Büro in der Potsdamer Innenstadt besucht. Beide Gespräche dauern über eine Stunde. Das merke ich aber erst beim Blick auf das Aufnahmegerät. Janny Armbruster hat einen großen Teil ihres Berufslebens Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Sie kann Geschichten erzählen. Oft welche, die zugleich persönlich und politisch sind.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Das ist ja das Schöne wenn wir uns beide hier unterhalten, dass ich immer die Betroffenenperspektive einbringen kann. Und das wäre mein Wunsch für diesen Podcast, dass wir bei allen Themenkomplexen immer uns so virtuell verschiedene Menschen mit Behinderungen vorstellen oder von ihnen ausgehen.
Moderation: Moderation: 513.000 Menschen mit festgestellten Behinderung leben in Brandenburg. Darunter 330.000 mit einer Schwerbehinderung, also mit einem Grad der Behinderung von über 50. Vielen – so wie auch Janny Armbruster – sieht man ihre Behinderung nicht auf den ersten Blick an.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Wenn ich mit Menschen über Behinderung rede, sage ich immer: „Machen Sie mal die Augen zu. Und welches Bild von einem behinderten Menschen haben sie?“ (Autorin) „Ein Mensch im Rollstuhl“ (Janny) „Alle haben es alle! Auch in den Bildern, wir sehen immer nur die Barrieren auf den Straßen. Kommt hier ein Rollstuhlfahrer runter oder der mobilitätseingeschränkte Mensch kommt nicht in die Straßenbahn. Diese Bilder haben wir verinnerlicht, das ist auch gut so. Aber es ist nur ein Ausschnitt. Der Großteil von Behinderung begegnet uns doch gar nicht. Wir sehen nicht die Diabetiker. Wir sehen nicht die Menschen mit Autismusstörung. Wir sehen mitunter auch die Prothesen nicht. Wir sehen vieles nicht, und das ist auch nicht schlimm. Aber die haben ja trotzdem Bedürfnisse, die über die hinausgehen, die sie vielleicht als nicht behinderter Mensch haben.
Moderation: Moderation: 513.000 Menschen mit Behinderungen für die Janny Armbruster als Landesbehindertenbeauftragte zuständig ist. Das sind 513.000 Einzelfälle mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Träumen, Biografien. Einer dieser Einzelfälle ist sie selbst:
Janny Armbruster: Janny Armbruster: So ne Biografien sind ja nicht eindimensional. Die hängen ja noch von vielen anderen Faktoren ab: Wo sind die Freunde, wen lernt man kennen, wie ist mein soziales Netzwerk. Wer fördert mich? Bis zur 10ten Klasse war ich wirklich stromlinienförmig auch erzogen. Auch von der Familie sozusagen. Ich lebte an der Heinrich-Heine-Straße am Grenzübergang. Ich wundere mich heute noch darüber, dass mich das als Kind nicht gewundert hat. … Mein Weg war vorgezeichnet, dass ich einen Beruf erlerne. So, und dann kam die Krankheit. Den Beruf, den ich mir ausgewählt hatte den konnte ich nicht mehr erlernen. Also das war Empfangssekretärin im Hotel – stehender Beruf. Ging nicht. Und dann hat man gesagt okay, die können wir ja noch nachrücken lassen zum Abi. Ich war in Berlin-Mitte, ja, bin ich groß geworden und habe diese ganzen Intellektuellen Kinder – von Thomas Langhoff die Söhne und Arztkinder und Musikerkinder. Das war so auf diesen Gymnasium – also EOS – und bin auf einmal mit Leuten bin in eine Welt gekommen, die für mich völlig neu war. Da fing mein Bruch und mein Nachdenken an. In welchem Staat lebst du? Wenn hier Leute nicht ausreisen dürfen… Dann hat das natürlich auch familiäre Konsequenzen gehabt wenn man auf einmal anfängt, anders zu denken. Und zugleich kam meine Behinderung und bin in der zwölften Klasse – im Abijahr – operiert worden, im Januar. Fiel ein Vierteljahr aus und habe mein Abi geschrieben. Da kam keiner und hat gesagt: Schafft die das? Gibt es nicht, eine Form von – was wir jetzt haben für die Studierenden – Nachteilsausgleichen, wo wir sagen: Okay, die kann ihr Abi auch ein halbes Jahr später machen. An der Rahmung hat sich für mich nichts geändert. Entweder schafft sie das Abi oder halt nicht.
Moderation: Moderation: Sie schafft das Abi. Aber ihr Lebenslauf schlägt weiter Haken. Mal wegen ihrer systemkritischen Einstellung, mal wegen ihrer Behinderung. Janny Armbruster bekommt einen der knappen und begehrten Jurastudienplätze – und lehnt ihn ab. Der Beruf reizt sie zwar, aber sie kann sich nicht vorstellen das Rechtssystem der DDR zu verteidigen. Stattdessen arbeiten geht auch nicht. Die Operation, bei der ihre schwere Wirbelsäulenverkrümmung – die Skoliose – korrigiert wurde, wirkt noch nach
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Das ist eine Begradigung, zu der Zeit war das eine neue Methode, das hat sich heute weiterentwickelt…. Ja, aber die gesamte Brustwirbelsäule ist versteift. Und ich war eingegipst für ein Jahr von hier, also vom Kinn bis über die Hüfte, Die Arme schauten raus. Da hatte ich ein kleines Luftloch, damit ich Atmen kann. So, und ich stand dann da und dann sagte mein Orthopäde zu mir: Du suchst dir jetzt Arbeit – weil ich hatte ja auch kein Einkommen – und dann, wenn du die Arbeit hast, dann schreibe ich dir ein Attest und du musst nicht arbeiten gehen. Und dann kriegst du trotzdem ja Krankengeld wenigstens. Und da bin ich mit meinen 18 Jahren losgezogen und habe Arbeit gesucht. Und dann saß ich also vor dieser Beamtin der Arbeitsagentur, und sie sagte „Kassiererin in der Kaufhalle“. Und dann sag ich „Wie stellen Sie sich das vor, den ganzen Tag diese Bewegung?“ Und dann sagt sie: „Sie werden ja wohl mal ein Tütchen Zucker in den Korb geben können. Hat sich mir eingebrannt. Der Satz. O-Ton.
Moderation: Moderation: Eine Diskriminierungserfahrung, die mehr als 40 Jahre her ist, aber immer noch frisch. Heute ist die Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt eines der Themen, dass Janny Armburster in den Fokus ihrer Arbeit als Landesbehindertenbeauftragte stellt.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Wie schaffen wir es, dass mehr Menschen auf dem er auf dem ersten Arbeitsmarkt sind? Wie schaffen wir, dass weniger Menschen in Werkstätten leben müssen? Das ist die eigentliche Grundfrage meiner gesamten Arbeit: Wie schaffen wir es, dass unsere Gesellschaft inklusiv wird. Und inklusiv heißt für mich, dass wir keine Förderschulen mehr haben, sondern dass unsere Kinder inklusiv geschult werden. Nur jedes Kind, was in einer inklusiven Schule war, geht auch in normale Ausbildung und nicht in Einrichtungen, die sie darauf vorbereiten, später in Werkstätten zu arbeiten. Und diese Wege zu durchbrechen, andere Biografien möglich zu machen, die Menschen jeweils mit seiner Behinderung wirklich so ankommen zu lassen, dass er in einer Gesellschaft leben kann und wirklich nur die Unterstützungsleistung über Teilhabeleistungen bekommt aber trotzdem eigentlich die Chance hat, unabhängig von Rahmenbedingungen wie Werkstätten, Wohnformen, Pflegeeinrichtungen leben zu können. Und da sind wir sehr, sehr weit weg in Deutschland. Dazu bedarf es eines gesellschaftlichen Wollens. Und Schöne ist, dass es ja nicht mal nur mein Wunsch ist, sondern dass Deutschland sich dem sogar verpflichtet.
Moderation: Moderation: Im Jahr 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich damit zur Umsetzung verpflichtet. In den „Allgemeinen Grundsätzen“ der Konvention heißt es: Die Grundsätze dieses Übereinkommens sind: die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit; die Nichtdiskriminierung; die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft; die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit; Von der uneingeschränkten Teilhabe und Autonomie behinderter Menschen ist Deutschland auch 13 Jahre nach der Anerkennung der UN -Behindertenrechtskonvention weit entfernt . Ein großes Ziel, dass – das weiß Janny Armbruster sehr genau –, aus vielen kleinen Schritten besteht. Einen davon geht sie selbst in ihrem Büro in Potsdam, wo wir das Interview führen. Ihre Assistentin Darleen kommt aus dem Oberlin Berufsbildungswerk und ist schwerbehindert. Die Arbeit im Büro der Landesbehindertenbeauftragten soll für sie ein Sprungbrett sein in den ersten Arbeitsmarkt
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Ich hatte davor schon eine junge Frau aus dem Oberlin, die jetzt einen festen Arbeitsplatz in der Verwaltung hat, in einem anderen Ministerium. Die hat sich entwickelt und hat sich durchsetzen können im Bewerbungsverfahren, bin ich ganz stolz drauf. Und jetzt ist Darleen die zweite. Nur für ein Jahr, und die werden, dann glaube ich, bis zu 50 Prozent gefördert. Das kostet doch den Arbeitgeber gar nicht mehr viel und verhindert – das ist ja das Problem, Darleen ist ja so ein wunderbares Beispiel – welchen Weg hat sie denn vor sich? Eigentlich hat sie den Weg vor sich in einer Werkstatt zu arbeiten. Bei ihrer Behinderung. Die wird es immer schwer haben im Leben. Und wenn sie aber so gut und fit ist, auch von den Kompetenzen her und kriegt ein wunderbares Arbeitszeugnis. Manche Dinge kann sie eben nicht. Sie kann für mich keinen Kaffee kochen. Ja, na und. Dann kocht sie den nicht für mich. Mache ich mir selbst!
Moderation: Moderation: Vorgezeichnete Lebenswege lassen sich ändern. Diesen Glaubenssatz belegt Janny Armbruster mit ihrer eigenen Berufsbiografie. Nach dem Wartejahr im Gips studiert sie – Germanistik – bekommt eine Anstellung in der Pressestelle der Universität und dann ein Kind. Ein Wendekind 1989 geboren. Als sie aus der Elternzeit zurückkommt befindet sich ihr Arbeitgeber – die Humboldt Uni – im Umbruch. Ihre Chefin wird wegen Stasi-Verbindungen entlassen. Janny Armbruster erarbeitet sich alles autodidaktisch: Neues System, neuer Job. War eine tolle Zeit, sagt sie rückblickend. Sie macht Karriere, wechselt in die Pressestelle der TU Berlin und später an die Uni Potsdam, wo sie unter anderen die Alumniarbeit und das Fundraising betreut. Parallel dazu engagiert sich Janny Armbruster seit 2014 als Stadtverordnete bei den Grünen in Potsdam.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Was so gut zusammenpasst, ist meine berufliche Profession als Kommunikationsfrau auch zu wissen wie bediene ich sozusagen die verschiedene Klientel – sei es Medien, sei es Vertreter von Vereinen und Verbänden, sei es auch Vertreter aus Politik und Gesellschaft. Das habe ich einfach 20 Jahre gemacht. Es ist so Handwerk. Dass ich zugleich jemand bin, der das politische Handwerk versteht, auch abwägen kann zwischen Kampf und diplomatischem aushandeln – bisschen auch mal zu taktieren. Und vor allen Dingen, das Entscheidende ist, glaube ich auch kompromissbereit zu sein. Und das dritte davon ist, dass ich natürlich aus der eigenen Betroffenheit heraus auch einfach mitreden kann. Also mich auch so auch fühle je älter ich werde. Meine eigene Behinderung hat mich früher weniger belastet als jetzt. Und aus der eigenen Betroffenheit sehe ich, es ist auch wichtig, dass man nicht versteckt, sondern damit offen lebt. Auch um mehr Sensibilität zu zeigen, weil es ist einfach so. Wir haben auch durch die Behinderung auch Dinge, die wir nicht machen können. Gerade am Sonntag bin ich bei einer Veranstaltung, und da soll ich auch einen kurzen Redebeitrag halten. Und dann habe ich gefragt: „Wie ist denn hier die Rahmung? Ist es ein Stehempfang oder Plenarsitze. Oder wie ist es?“ „Wir haben da Stehtische“ Und dann sage ich „Okay, dann würde ich mich freuen. Sie stellen fünf, sechs, sieben Barhocker dazu. Ich will nicht am Tisch mit zwei anderen sitzen, sondern die Barhocker stehen, irgendwie im Raum, und man kann dann selber wandern mal von Tisch zu Tisch und hat trotzdem die Möglichkeit, halb zu sitzen oder sich so anzulehnen, dass man nicht frei steht über länger als 10 Minuten, 20 Minuten.“ Das Sitzen schafft ja schon wieder eine Distanz: die Sitzenden, die Stehenden – das ist kommunikativ schwierig. Einfacher ist wir bleiben alle auf Augenhöhe. Das hätte ich früher wahrscheinlich nicht gesagt, da hätte ich mich gequält. Und jetzt sage ich möchte „gerne Barhocker“. Dazu gehört auch Überwindung muss ich sagen, das zu lernen. Dass Normalität nicht der Maßstab ist. Sondern der Maßstab ist: Wie will ich leben? Wie richte ich mich mit meinen Bedürfnissen in der Welt ein? Und das Recht hat auch jeder.
Moderation: Moderation: Immer weiter lernen. Eingeschlagene Wege hinterfragen. So hat es Janny Armbruster ihr Leben lang gehalten. Vieles bringt sie schon mit für ihre Amt als Landesbehindertenbeauftragte. Vieles muss sie aber auch noch lernen. Das „Aufschlauen“ – wie sie es nennt – gehört genauso zum Job wie das Kommunizieren und die politische Kompromissfindung. Damit ich auch diesen Teil ihrer Arbeit erleben kann, hat mich Janny Armbruster eingeladen, sie zur Regionalkonferenz „Inklusiv gestalten“ zu begleiten.
Atmosphäre: Atmosphäre: Konferenzatmo (Gemurmel, Begrüßung)
Moderation: Moderation: Auf der Einladung heißt es: Die inklusive Gestaltung von Stadtraum und Wohnungen leistet einen bedeutenden Beitrag zur eigenständigen Lebensführung von Menschen mit Behinderungen und älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, lädt daher gemeinsam mit der Bundesarchitektenkammer und den Architektenkammern Berlin und Brandenburg zur Regionalkonferenz »Inklusiv gestalten – Ideen und gute Beispiele aus Architektur und Stadtplanung« ein.
Jürgen Dussel: Jürgen Dussel: Meine Kollegin Janny Armbruster aus Brandenburg ist da und wir alle sind da weil uns ein Thema umtreibt wo wir alle glauben dass es besser werden muss und das ist natürlich die Barrierefreiheit aber gerade in einem Segment dass gerade dabei ist nach vorne gebracht zu werden. Auch aufgrund des Koalitionsvertrages. Da ist ja festgelegt, dass die Bundesregierung, sie haben sich verabredet, dass Deutschland in allen Bereichen, insbesondere auch beim Wohnen barrierefreier werden soll.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Und dann kommt wer auch immer und sagt: das bedeutet ja Fahrstuhl. Das bedeutet ja Blindenleitsysteme, das können wir uns gar nicht leisten in unserem Land Brandenburg. (Autorin) „Und was entgegnen Sie dann?“ Das es nicht wirklich mehr kostet, wenn es von Anfang an mit geplant wird, Ob ich eine Schwelle baue oder eine Schräge ist eigentlich nicht kostenrelevant. Es werden erst dann wirklich zusätzliche Kosten, wenn ich die Schwelle abbaue, indem ich den Stein wieder rausnehmen und eine Schräge baue. Oder bei dem Thema barrierefreies Wohnen. Ich mache alles bodengleich. Was ist daran teuer? Was teuer wird: Frau Pachulke hat einen Unfall oder ähnliches und will aber in ihrer Wohnung bleiben, ist aber künftig auf den Rollator oder Rollstuhl angewiesen – wenn sie dann die Wohnung umbauen. Warum bauen wir nicht von vornherein vor allen Dingen im sozialen Wohnungsbau, alle Wohnungen barrierefrei. Sodass man auch nicht umziehen muss, wenn man alt ist? Ich will nicht entschuldigen, dass wir zu wenig Steuereinnahmen in Brandenburg haben und das zu wenig Geld da ist. Es ist alles eigentlich auch traurig. Aber es ist auch traurig, dass es in unserer Gesellschaft daran mangelt zu sagen: Unsere Gesellschaft ist nur so gut, wie wir den Schwächsten in der Gesellschaft mitnehmen. Und daran mangelt es auch. Es mangelt an Finanzen, aber es mangelt auch an solidarischem Miteinander.
Moderation: Moderation: Der Landesseniorenbeauftragte Norman Asmus sitzt auf demselben Flur wie Janny Armburster. Nur ein paar Türen weiter. Bei vielen Themen – zum Beispiel auch bei der Digitalen Barrierefreiheit – ist er ihr natürlicher Verbündeter. Steine ins Wasser werfen. So nennt sie ihre Arbeitsmethode. Umdenken und Veränderung anstoßen an so vielen Stellen wie möglich.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Also dass man einen Stein ins Wasser wirft, das Wellen entstehen und dass diese Wellen aufgegriffen werden. Es müssen dann die, die eigentlich zuständig sind – für Bauordnung oder, oder, oder – die müssen dann sagen „okay, dann gehen wir das jetzt an, das zu verändern“. Und ich bin dann aber auch nicht die, die sich rauszieht, sondern sage „ich begleite das gerne“. Aber was ich nicht kann: Ich kann die Prozesse nicht selber managen. Dazu müsste ich einen Stab von 30 Leuten haben. Also im Prinzip dafür zu sorgen, dass andere diese Wellen aufgreifen und zu ihrer Sache machen. Und man kann auch scheitern. Aber eigentlich sind diese Veränderungen in den kleinen Schritten, wo man Menschen mitnimmt, für mehr Barrierefreiheit und für mehr Teilhabe und Partizipation zu sorgen. Jeweils in den verschiedenen Themenfeldern.
Moderation: Moderation: Vier Jahre dauert die Amtszeit als Landesbehindertenbeauftragte. Zwei Jahre davon sind für Janny Armbruster schon vorbei. Jahre in denen vieles wegen der Pandemie langsamer oder gar nicht ging. Für eine Bilanz ist es noch zu früh. Und es passt auch nicht zu ihrem Ansatz. Manchmal brauchen die Wellen von den Steinen länger bis sie bei jemandem ankommen, der sie aufgreift. Trotzdem hat sich schon vieles für Menschen mit Behinderungen verbessert, sagt Janny Armbruster mit Blick auf ihre Jugend in der DDR.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Wir sind aber auch schon ganz weit von dieser Erfahrung an vielen Stellen. Da hat sich Demokratie auch ausgezahlt. Ich hatte ja erzählt, dass ich so tolle Leute kennengelernt habe, aus christlich oder künstlerisch geprägten Elternhäusern. Und eine Freundin davon, die hat über die Kirche Kontakt zu schwerstmehrfachbehinderten Menschen gepflegt. Und ich bin da mit angedockt, an so eine Gruppe von jungen Leuten, die da sich ein bisschen gekümmert haben. Wir sind da fünf, sechs Mal im Jahr hin, haben sie besucht in dem Pflegeheim. Alles mit Vierbettzimmern. Da lag die Monika, die wir zum Beispiel immer besucht haben, eine Spastikerin. Die wurde zweimal die Woche überhaupt aus dem Bett geholt und in den Hof gestellt mit ihrem Rollstuhl. Und wenn wir kamen, haben wir sie angezogen, haben mit ihr und noch fünf, sechs anderen, die da in dem Heim lebten haben wir dann Ausflüge gemacht. Unter anderem sind wir zum Weihnachtsmarkt beispielsweise gefahren. Das Heim ist in Biesdorf und auf dem Weg wieder zurück mussten wir mit dem Rollstuhl eine Station weiterfahren weil auf der einen Seite Biesdorf kein Abgang für Rollstuhlfahrer war. Kamen dann irgendwann im Dunkeln in dem Pflegeheim an. Haben das Licht angemacht. Da fielen die Kakerlaken von der Decke, beziehungsweise die gehen ja dann, wenn Licht kommt. Das heißt, so eine Monika, die sich mit ihren Händen nicht mal die Kakerlaken aus dem Gesicht wischen kann. Liegt da und die laufen Ihr nachts übers Gesicht, alles voll. Und es hört sich an wie aus einem schlechten Horrorfilm. Aber es sind eingebrannte Bilder
Moderation: Moderation: Bilder die auch ich nach dem Gespräch mit Janny Armbruster im Kopf behalte. Genauso wie die Vorstellung von der jungen Frau, die – vom Hals bis zur Hüfte eingegipst – entschlossen ihre Zukunft anpackt. Aus dieser Vergangenheit zieht Janny Armbruster Inspiration für ihre heutige Arbeit.
Janny Armbruster: Janny Armbruster: Ich behaupte, dass die Rückschau uns auch Antworten gibt auf Krisenbewältigung. Wir haben ja vorhin gesagt, wir wollen über den Menschen reden. Jeder für sich musste in einer neuen Gesellschaft ankommen. Jeder einzelne musste sich transformieren, sozusagen in die neue Gesellschaft hinein. Und es ist ja eigentlich eine große Kraft, die uns jetzt vielleicht auch helfen würde, daran anzuknüpfen. Wir erleben doch auch, dass wir in einer Welt sind, die immer fragiler wird. Und das höchste Gut ist diese Demokratie darin zu erhalten und sogar vielleicht sogar zu stärken. Da – glaub ich – könnten viele Ostdeutsche eine Antwort darauf geben.
Moderation: Moderation: (auf Soundbett) Das war der vierte Teil unserer Podcast-Serie „Vielfalt in Brandenburg“ über die Brandenburger Landesbehindertenbeauftragte Janny Armbruster. In den kommenden Folgen erforschen wir die Anfänge der Brandenburger Frauenbewegung und stellen euch unterschiedliche muslimische Lebensentwürfe in Brandenburg vor. Alle Folgen und Hintergrundinformation findet ihr auf der Website www.boell-brandenburg.de. Dieser Podcast ist Teil der Reihe Böll.Spezial. Diese Reihe und alle weiteren Podcasts der Heinrich-Böll-Stiftung könnt ihr auf der Podcast-App Eurer Wahl abonnieren. Für Feedback und Anregungen schreibt uns eine Mail an: info@boell-brandenburg.de und empfehlt uns gerne weiter. Ich bin Franziska Walser und dieser Podcast ist eine Produktion des Audiokollektivs. Tschüss und bis zum nächsten Mal.
Jingle: Jingle: Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg
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