Lesbischer Aktivismus in Brandenburg

Shownotes

In unserer Böll.Regional Podcastreihe „Vielfalt in Brandenburg“ wollen wir die Lebensentwürfe ganz unterschiedlicher Menschen vorstellen und so sichtbar machen, wie vielfältig das Leben hier ist. In der zweiten Folge beschäftigen wir uns mit lesbischem Aktivismus in Brandenburg, dem Bundesland, das die Hauptstadt umschließt und sich dennoch auch beim Thema Vielfalt elementar von Berlin unterscheidet. Nach wie vor gibt es Frauen, die sich weder gegenüber ihren Arbeitgebern noch in der Familie geoutet haben. Angebote, sich zu vernetzen, sind knapp. Wir haben uns mit zwei Aktivistinnen im Regenbogenkombinat in Potsdam verabredet, die für zwei Generationen lesbisches Leben in Brandenburg stehen.

Ein Podcast mit:

• Gabriele Kerntopf, ehem. Leiterin des "Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule & Trans* Belange" des Landes Brandenburg (LKS)

• Nadine Borchert-Apfelbacher, Leiterin des Projektes „Bildung unterm Regenbogen“ bei AndersARTiG e.V., Dachverband der LSBTIQ-Community im Land Brandenburg

Bildung unterm Regenbogen: https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/immer-mal-wieder-komische-blicke-7945684.html

AndersARTiG e.V. - Dachverband der LSBTIQ-Community im Land Brandenburg: https://www.bundesverband-trans.de/members/andersartig-e-v/

Foto: © Privat

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Musikbett: Intro/Musikbett

Moderation: Moderation: In unserer Böll.Regional Podcastreihe „Vielfalt in Brandenburg“ wollen wir die Lebensentwürfe ganz unterschiedlicher Menschen vorstellen und so sichtbar machen, wie vielfältig das Leben hier ist. In der zweiten Folge beschäftigen wir uns mit lesbischem Aktivismus in Brandenburg, dem Bundesland, das die Hauptstadt umschließt und sich dennoch auch beim Thema Vielfalt elementar von Berlin unterscheidet. Nach wie vor gibt es Frauen, die sich weder gegenüber ihrem Arbeitgeber noch in der Familie geoutet haben. Angebote, sich zu vernetzen, sind knapp. Ich habe mich mit zwei Aktivistinnen im Regenbogenkombinat in Potsdam verabredet, die für zwei Generationen lesbisches Leben in Brandenburg stehen. Mein Name ist Mandy Schielke. Herzlich Willkommen zu diesem Podcast!

Jingle: Jingle: Böll Regional.

Gabriele: Gabriele: Mein Name ist Gabriele Kerntopf, ich bin 1993 in den Osten gekommen aus dem Westen und habe da den ersten schwul-lesbischen Verein in Cottbus mitgegründet. Daraus ist dann ein Landesverband entstanden und daraus wurde dann zu Anfang war es die Lesben-Beauftragte des Landes Brandenburg. Das hat sich später aber dann geändert und wurde dann zum Büro für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Und so hat sich das dann im Laufe der Jahre immer mehr entwickelt. Also zu diesem Regenbogen Kombinat, was natürlich jetzt viel moderner und viel neuer und toller ist als früher.

Moderation: Moderation: Gabriele Kerntopf ist fast siebzig Jahre alt. Vor 30 Jahren ist sie aus dem Rheinland nach Cottbus gezogen.

Gabriele: Gabriele: Also ich habe drei Kinder, die zu dem damaligen Zeitpunkt in der dritten, vierten und siebten Klasse waren und ich hatte bis dahin ja ziemlich versteckt gelebt. Und ich hatte einen ganz anstrengenden Scheidungsprozess, Sorgerechtsprozess und es war damals noch Gang und Gäbe, dass die Kinder den Müttern weggenommen wurden, also die sich als lesbisch geoutet hatten, also in Nordrhein-Westfalen. Und dann bin ich nach Brandenburg gezogen, der Liebe wegen und stellte dann hier was ganz Großartiges fest. Es gab nämlich hier eine Verfassung, die die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verbietet. Und das war so für mich so der Moment des Erwachens! Dann gründete sich der erste schwul lesbische Verein oder wollte sich gründen, hatte ich in der Zeitung gelesen und dachte da gehe ich mal hin und frag mal, ob die mich nicht dabei irgendwie unterstützen können. Das war aber alles noch viel zu früh. Es war noch alles in der Findung. Jedenfalls dachte ich na, vielleicht kann ich da ja ein bisschen mitmachen. Aber ich konnte nicht nur mitmachen. Bevor ich mich versah, war ich Vorstandsvorsitzende und so ging es dann immer weiter.

Moderation: Moderation: Gabriele Kerntopf beantragte Fördermittel und ging zum Arbeitsamt, um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu rekrutieren. Lesbisches Leben offen zu zeigen, war allerdings noch ein No Go.

Gabriele: Gabriele: Also das war eigentlich alles sehr versteckt, weil hier gab es ja auch noch immer diese rosa Listen. Davor hatten viele, viele Angst, wollten sich auch nicht engagieren oder mit ihrem Namen irgendwo in einen Verein. Die Rosa Listen waren Listen für die Stasi, wo Schwule erfasst wurden.

Moderation: Moderation: Die Wiedervereinigung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht lange her, die Ängste aus der Zeit zuvor noch da. Selbstverständlich gab es auch in der DDR lesbische Frauen, die sehr aktiv und öffentlich waren. Viele von ihnen gingen nach Berlin, wo sie eine Community bildeten und erfolgreich politisch aktiv waren. Beispielsweise im unabhängigen Frauenverband, kurz UFV. Doch abseits der Städte gab es kaum offen gelebte Homosexualität oder gar Communities.

Gabriele: Gabriele: Und da hatten alle Angst, sich in einem Verein zu engagieren, wo sie dann ihren Namen hergeben mussten. Klar, weil sie wieder Angst hatten, sie landen dann in diesen Listen. Das war zu Anfang sehr, sehr schwierig, überhaupt ein Verein zu gründen. Das war etwas, was es hier ja gar nicht gab. Anfang der 90er. Was ist das? So ein Verein? Wie macht man das? Ich kannte das ja schon eher aus dem Westen. Und gleichzeitig lief aber auch mein Sorgerechts Prozess, der also fast 10 Jahre gedauert hat, mich an den Rand des Ruins gebracht hat. Und auf diesem Weg ist mir aufgefallen, wie viel Diskriminierung schon alleine daran hängt, dass ich darum kämpfen muss, dass unser Familienmodell überhaupt nur mit benannt wurde. Selbst wenn ich es offen gesagt habe, wurde immer so getan, als hätte ich es nicht gesagt. Vor Gericht zum Beispiel, aber auch in der Schule. Also meine Lebensform kam gar nicht vor.

Moderation: Moderation: Obwohl Brandenburg als erstes Bundesland 1992 ein Diskriminierungsverbot für Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in seine Landesverfassung geschrieben hat: „Niemand darf wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, seines Geschlechts, seiner sexuellen Identität, seiner sozialen Herkunft oder Stellung, seiner Behinderung, seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt werden.“ (Artikel 12 Absatz 2).

Gabriele: Gabriele: Und so war es, wie ich meine Aufgabe gesehen habe, diese Verfassung mit Leben zu erfüllen. Das heißt, ich kann mich ja nicht nur an meinen Schreibtisch setzen und die Verfassung da ausleben, sondern ich muss raus in die Welt und sozusagen daran arbeiten. Wir haben diesen Verein gegründet, später wurde ein Landesverband gegründet. Da haben wir dann das erste Schulprojekt überhaupt gegründet. Unsere Vorstellung war, wir hatten dazu tatsächlich auch zwei Fachkräfte aus dem pädagogischen Bereich, über eine ABM Maßnahme, was auch neu war, in die Schulen gingen. Das hatte niemand. Kein Bundesland hatte so was, nur wir.

Moderation: Moderation: Gabriele Kerntopf hat es sich in einem Sessel im Regenbogenkombinal in der Altstadt von Potsdam gemütlich gemacht. Sie erzählt davon, dass Lesbisches Leben damals weder in der Öffentlichkeit noch in der Sprache einen Platz hatte. Gabriele Kerntopf erinnert sich an Erlebnisse, die ihr weh getan haben aber auch an Episoden wie diese, die sie in Cottbus erlebt hat..

Gabriele: Gabriele: Es fängt damit an, dass ich eine Frau beim Einkaufen traf. Die kannte mich, hatte mich bei einer Veranstaltung gesehen und grüßte mich. Und ihr Mann fragte: Wer war denn das? Und sie sagte Das ist eine von den Schwulen von gestern. So dass also noch nicht mal die Worte irgendwie richtig bekannt waren. Es war also schon sehr, sehr ulkig. Ja, und dann ging es immer einen Schritt weiter. Es ging immer weiter und immer weiter und immer weiter. Vieles wurde selbstverständlicher. Wie das heute ist, das sehe ich mit ganz großer Freude. Trotzdem sehe ich es mit großer Besorgnis, weil ich merke, dass sich das Blatt wieder wendet. Und als wir gesagt haben, wir müssen eigentlich aufs flache Land gehen, haben wir ja diese Touren erfunden, diese lesbisch schwulen Touren durchs Land. Da sind wir dann eine Woche praktisch in kleine Städte gefahren, haben auf dem Marktplatz gestanden, sind in die Schulen gegangen, in Jugendclubs, in Bibliotheken und haben da das Thema öffentlich gemacht. Und das, was uns am weitesten gebracht hat, war das Hissen der Regenbogenfahne, darauf zu bestehen, dass die Regenbogenfahne gehisst wurde. Und tatsächlich gab es also die unglaublichsten Resonanzen. Also erstens war es immer so: entweder war kein Fahnenmast da, dann entsprach die Flagge nicht der Flaggen Verordnung des Landes Brandenburg. Und es war ganz schwierig zu vermitteln, dass es um etwas anderes geht, als wenn wir jetzt die Fahne von einem Schäferhund-Zuchtverein hochziehen. Und es hat sich dann so entwickelt: wer nicht hisste, kam uns eigentlich auch zugute, weil darauf hat sich die Presse gestürzt. Die Presse hat dann nachgefragt, warum denn nicht? Und da war dann manchmal mehr Aufmerksamkeit als die wehende Fahne.

Moderation: Moderation: In Neuruppin im Norden des Bundeslandes, so erinnert sich Gabriele Kerntopf, wurden sie und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen besonders hartnäckig abgewiesen.

Gabriele: Gabriele: Also es scheiterte an einem Fahnenmast. Es ging überhaupt nichts. Und der Bürgermeister, die hatten das Rathaus nur gemietet, der war dann immer nicht da. Und dann hatten wir aber entdeckt, dass es da vorn, wahrscheinlich aus DDR-Zeiten noch, so ein Ding gibt, wo man so eine Fahne reinstecken kann. Und dann haben wir im nächsten Laden einen Besen gekauft, dann dran die Fahne getackert und haben gesagt: Wir haben eine, die passt. Und die habe ich gemeinsam mit dem Bürgermeister in dieses Loch gesteckt.

Moderation: Moderation: Gabriele Kerntopf ist inzwischen Rentnerin aber keine Aktivistin im Ruhestand! Wenn im Land Brandenburg wie kürzlich, Finanzmittel für Vielfalt-Angebote gekürzt werden sollen, demonstriert sie mit 150 anderen Aktivistinnen und Aktivisten vor dem Landtag in Potsdam. Gabriele Kerntopf hat in Brandenburg schon Vieles erreicht. Sie initiierte das erste schulische Bildungsprojekt in Brandenburg – das erste seiner Art bundesweit. Aufklärungsarbeit an Schulen. Diskussionen, Fragerunden, Erlebnisberichte im Klassenraum.

Gabriele: Gabriele: Ich habe Schulveranstaltungen mit meinen Mitstreiterinnen abbrechen müssen, weil in den letzten drei Reihen pöbelnde rechte Jugendliche saßen. Das hat sich im Laufe der Jahre verändert. Also auch dass Schule dies nicht mehr zuließ. Also wir haben uns damals gesagt Okay, wir brechen das hier ab, wir gehen auf den Schulhof. Wer weiter zuhören möchte oder wer weiter mitmachen möchte, kann gerne mit dazukommen. Das war eine richtige Bedrohung. Es gab Jugendclubs, die mit uns keine Veranstaltung machen wollten, weil die waren fest in rechter Hand. Also nicht unbedingt von den Mitarbeiterinnen, sondern von den Jugendlichen. Es gab da auch dem Land eben nur die Jugendlichen. Es gab mal eine Veranstaltung nur mit Lehrern und Lehrerinnen und den Sozialpädagoginnen und die Jugendlichen haben draußen gesessen. Wir haben sie freundlich eingeladen, mit reinzukommen, aber sie sind draußen sitzen geblieben. Also das war noch mal eine ganz andere Nummer. Und es gab damals in den 90er Jahren wirklich eine ganz starke Bedrohung von rechten Jugendlichen. Also wir sind zum Beispiel in Königs Wusterhausen, sind wir einmal wirklich vor Schlagstöcken und allem gelaufen und die Party musste abgesagt werden, weil es so eine große Bedrohung war.

Musik: Musik

Moderation: Moderation: Schockierenden Szenen. Woher nahm sie Kraft weiterzumachen, zu kämpfen, Kontakte zu knüpfen, frage ich Gabriele Kerntopf. Die damals alleinerziehende Mutter, die sich durch den Alltag strampelte überall im Beruf und im Privatleben als lesbische Frau auf Hindernisse stieß…ihre Kinder haben sie indes immer unterstützt, waren stolz. Wenn sie sich auflehnte, haben sie ihr noch mehr Mut zugesprochen, erzählt Gabriele Kerntopf vergnügt. Nadine Borchert-Apfelbacher hört Gabriele Kerntopf genau zu. Auch wenn die beiden Frauen sich schon lange gut kennen, hört sie einige dieser Geschichten zum ersten Mal. Nadine Borchert-Apfelbacher ist die Nachfolgerin von Gabriele Kerntopf.

Nadine: Nadine: Ich bin 43 Jahre alt, arbeite hier im Landesverband andersartig und habe die große Freude und Ehre das Bildungsprojekt, was mal Schule unterm Regenbogen hieß jetzt Bildung unterm Regenbogen heißt, leiten zu dürfen und stapfe sozusagen in die Fußstapfen der wundervollen Arbeit von Gabriele Kerntopf. Und leite hier dieses Projekt.

Moderation: Moderation: Das Projekt „Bildung unterm Regenbogen“. Besucht Schulen in Brandenburg, macht Gesprächsangebote – ohne die Widerstände allerdings, auf die noch Gabriele Kerntopf gestoßen ist.

Nadine: Nadine: Wir haben da tatsächlich im Landesverband und mit den KooperationspartnerInnen zusammen ganz unterschiedliche Momente, wo wir sagen, sichtbar werden ist das „A und O“. Gerade auch für junge Menschen, die sich dann trauen, auch sichtbar zu werden. Und das eine ist, was Gabriele Kerntopf auch erzählt hat, die lesbisch schwule Tour, wo wir einmal im Jahr mit jungen Menschen durch Brandenburg touren, meistens ein, zwei Landkreise. Und da auf den Marktplätzen, in Kleinstädten und Dörfern die Regenbogenflagge hissen, Aufklärungsworkshops an Schulen machen, mit Beratungsstellen kooperieren, einfach darüber, dass wir da sind. Das hat eine totale Wirkung. Also junge Menschen, die dann irgendwie dreimal um unseren Stand drum herum gehen und dann irgendwie gucken und sagen: „Ich habe mir heute extra frei genommen, weil ich wusste, dass ihr kommt. Und das macht so viel für mich aus, dass ihr da seid“. Und so aus meiner eigenen Geschichte heraus, kann ich sagen, wäre das damals in Schönebeck an der Elbe, wäre da jemand gewesen, da komme ich her, da hab ich mich geoutet, wäre da wer mit einem Bus vorgefahren und hätte die Regenbogenflagge bei uns am Rathaus gehisst. Ich wäre auf die Knie gefallen. Und vielleicht noch mal zwei Sätze warum tue ich das? Wo komme ich her? Ich hatte sehr früh mein eigenes Coming out. Da war ich gerade mal 15, 16. 1994 in einer ostdeutschen Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. Das war kurz nach der Wende. Da gab es Schwule, Lesben, Trans oder Queers sehr, sehr versteckt oder gar nicht. Als ich erzählt habe, dass ich lesbisch bin, wurde ich irgendwann gefragt, ob ich mit Hella von Sinnen zusammen bin, weil das sozusagen, das die Assoziation dazu war. Und ich hab da auch selber in der Schulzeit ganz viel Diskriminierung erlebt. Ich war mutig, habe mich geoutet. Es gab wenig geouteten Menschen in dieser Kleinstadt und ich habe da sehr viel Ausgrenzung erfahren, auch Gewalt erfahren müssen und habe damals überlegt, wenn ich mal groß bin, dann möchte ich genau daran was ändern, möchte ich an Schulen gehen, da möchte ich Aufklärungsarbeit machen und möchte, dass es jungen Menschen, vor allem jungen Menschen, anders geht im Coming out.

Moderation: Moderation: Mit 16 zieht Nadine Borchert-Apfelbacher weg aus der Provinz nach Berlin, macht eine Ausbildung, erlebt das erste Mal den Christopher Street Day in Berlin, studiert später Soziale Arbeit…

Nadine: Nadine: Habe mich Zeit meines beruflichen Lebens mit und für queere Jugendliche engagiert. In der Jugendhilfe ganz lange gearbeitet, in Berlin in Forschungsprojekten mitgearbeitet aus einer forschenden Perspektive und bin dann hier vor vielen Jahren, vor fünf Jahren oder sechs Jahren, jetzt mittlerweile aus der Großstadt mit meiner Frau nach Brandenburg gezogen und habe überlegt, wenn ich hier in Brandenburg wohne, möchte ich mich hier auch engagieren und bin dann 2018 zum Landesverband gekommen und habe dieses Projekt entdeckt und habe gedacht, genau das will ich machen an Brandenburger Schulen gehen und mit Schülerinnen ins Gespräch kommen.

Moderation: Moderation: Die Ankunft in Brandenburg war trotzdem ein Schock.

Nadine: Nadine: Also als wir von Berlin nach Potsdam gezogen sind, war das für mich erst mal auch ein großer Sprung, weil mich das natürlich sehr an ostdeutsche Kleinstadt erinnert hat. Ich dachte, oh Gott, was mache ich hier eigentlich...? Vielfalt als Thema ist in Brandenburg viel, viel unsichtbarer. Ich hatte so das Gefühl, ich gehe auf Spurensuche von dem, was Gabriele Kerntopf gemacht hat und habe irgendwie auch gemerkt, da ist ganz viel entstanden. Aber noch mal anders als in Berlin läuft es viel mehr über ganz engagierte Personen. Also man steht mit seiner Persönlichkeit und der gesamten Person für das Thema lesbische Sichtbarkeit. Ob ich das jetzt beruflich oder privat mache, ist wurscht. Das Private ist politisch. Und so wird man tatsächlich irgendwie auch wahrgenommen. Und das muss man wollen, weil ich das Gefühl habe, dass es in Brandenburg viel versteckter ist, zurückgezogener, wenig sichtbar. Was, glaube ich, auch daran liegt, dass es weniger finanzierte Strukturen gibt. Es gibt viel, viel weniger Angebote, viel, viel weniger Vernetzung, Möglichkeiten. Das hat sich jetzt in den Jahren wirklich viel verändert. Aber ich habe das irgendwie gemerkt, dass klar, wenn man durch Potsdam läuft, man sieht schon auch Schwule und Lesben die Hand in Hand laufen. Aber oftmals überlege ich mir genau, ob ich meine Frau an die Hand nehme.

Moderation: Moderation: Sichtbarkeit ist das große Anliegen der Aktivistin. Ein Anliegen für das sie ganz persönlich steht. Und doch ist sie da eine Ausnahme. Trotz vieler Gespräche, E-Mails und Anrufe war es nicht möglich andere Frauen zu finden, die offen über ihr Leben als lesbische Frau in Brandenburg sprechen wollten – auch nicht anonym. Und das liegt an unangenehmen Begegnungen, Bemerkungen, die leider wieder zunehmen in Brandenburg, sagt die Aktivistin.

Nadine: Nadine: Die AfD ist mit einer sehr großen Stimmenmehrheit hier vertreten. Ich merke, das kostet natürlich auch Mut. Für mich steht das außer Frage. Ich habe das mein ganzen Leben gemacht. Ich stehe für das Thema Vielfalt. Es gibt aber auch Momente, wo ich merke, da geht mir das selber nahe und geht mir selber unter die Haut. Wenn man als lesbische Frau dann auch angesprochen wird oder ich mache mal ein Beispiel: Es gab einen Zeitungsartikel, da wurde ich interviewt zum Thema: „Wie war mein Coming-Out, was mache ich an Schulen, was macht das Projekt Schule unterm Regenbogen?“ Und das wurde veröffentlicht in einer Brandenburger Tageszeitung. Das war auch ganz schön. Und dann war ich eines Morgens joggen und war am Kiosk, hab mir noch ein Brötchen gekauft und dann kam eine Frau auf mich zu und hat gesagt, Sie sind doch die, die gestern in der Zeitung war und ich sagte, ach ja, das ist aber nett, dass sie mich erkennen…Dann hat sie gesagt, Sie können ja machen, was Sie wollen, aber lassen Sie unsere Kinder in Ruhe! Und das sind so Momente…man wird erkannt, gerade weil wenig Menschen hier auch sichtbar sind, weil wenig Menschen für das Thema stehen. Und das bedeutet natürlich auch immer, sich den Unmut zuziehen. Und da habe ich schon das Gefühl, das hat in den letzten Jahren wirklich zugenommen. Also Beschimpfungen, Beleidigungen, Pöbeleien. Das findet ja nicht nur auf der Straße statt, das findet ja auch in Sozialen Medien statt und das finde ich, das ist eine Entscheidung. Mag ich das aushalten? Mag ich das nicht aushalten. Also beispielsweise Facebook, Instagram und Co. Wenn es da irgendwelche Artikel gibt, beispielsweise. Ich habe mir abgewöhnt, die Kommentare darunter zu lesen, weil wenn ich das tun würde, würde ich hier keinen Fuß mehr in die Tür setzen…

Moderation: Moderation: Nadine Borchert-Apfelbacher beobachtet zum einen, dass das politische Klima im Bundesland queeres Leben erschwert, Ängste schürt. Andererseits gehen junge Menschen, Schüler und Schülerinnen sehr sensibel und offen mit dem Thema um.

Nadine: Nadine: Wenn wir in Schulen gehen, merke ich in den letzten Jahren, dass es eine Veränderung gibt, dass junge Menschen viel, viel aufgeklärter sind und wirklich auch von den Begrifflichkeiten sich total gut auskennen, was viel mit Sozialen Medien zu tun hat und wo ich so das Gefühl habe, dass diese Arbeit gerade von Bildungsprojekten wirklich Früchte trägt. Das finde ich ganz wundervoll. Es gründen sich Queer-AGs an Schulen, wo junge Menschen sagen, hey, wir wollen hier an unserer Schule was machen. Das ist eine ganz tolle Entwicklung, wo ich merke junge Menschen sind mutig, die gehen nach Außen und sind viel selbstbewusster als ich das beispielsweise in diesem Alter war. Das finde ich eine ganz schöne Entwicklung. Im Rahmen Lehrplan ist das Thema fest verankert in Berlin und Brandenburg. Das war großartig, weil es da tatsächlich noch mal darum geht, zu sagen, egal ob Lehrkräfte sagen: Ja, wir wollen es aber oder wir wollen es nicht. Es steht im Rahmen-Lehrplan und das ist eine ganz tolle Möglichkeit, immer wieder zu verweisen und zu sagen, das Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, das wird ein Thema in der Schule sein und wir können unterstützen.

Moderation: Moderation: Seit vier Jahren ist das Thema sexuelle Vielfalt fester Bestandteil in Brandenburgs Schulen. Wichtig für das Thema Vielfalt bleibt das Bekenntnis von politisch Verantwortlichen Projekte, wie Bildung unterm Regenbogen und andere Initiativen verlässlich zu finanzieren, sagt Nadine Borchert-Apfelbacher

Nadine: Nadine: Es gibt manchmal so was. Und das sehe ich auch, wo es wieder so Rückschritte gibt. Und ein ganz großes Thema ist da tatsächlich die Frage von Finanzierung. Wie selbstverständlich sieht ein Land Brandenburg, sehen Verantwortliche das Thema Vielfalt auch als Landesaufgabe? Und das merken wir immer daran: Wir hatten jetzt die Corona Pandemie, da gab es ganz viele Mehrausgaben. Es wird angefangen zu kürzen und da wo es zuerst gekürzt wird – Gabriele Kerntopf hat irgendwann mal gesagt: Taubenzüchter Verein, das wird dann immer so verhandelt als wären wir ein Taubenzüchter Verein. Wir stehen auf und sagen, wenn es um Diversity geht, wenn es um Vielfalt geht, wenn es um demokratisches Handeln geht, dann ist das ein Thema, was fest verankert ist und wir müssen eigentlich immer wieder darauf aufmerksam machen. Das geht nicht um Betroffenensicht. Das geht nicht darum, dass alles so schön bunt ist, sondern das ist ein selbstverständliches Thema. Und da merken wir, das ist immer so der Moment, wo dann zuerst gekürzt wird, wo es wenig Mittel gibt, wo viel über Ehrenamt laufen soll. Aber das sind Aufgaben, die können nicht nur von ehrenamtlichen Menschen geleistet werden.

Moderation: Moderation: Erst kürzlich waren im Landtag Haushaltskürzungen für queere Projekte in Brandenburg im Gespräch.

Nadine: Nadine: Da gab es Kürzungen um fast 50 Prozent, die vorgesehen waren für den Haushaltsentwurf 2022. Da ist die Community aufgestanden, der Landesverband Andersartig, CSD Cottbus, der LSVD, also viele Vereine, die gesagt haben: Nee, das lassen wir uns nicht gefallen. Es gab eine große Protestaktion und wir konnten erreichen, dass die PolitikerInnen und die Verantwortlichen gesagt haben, wir setzen uns noch mal hin und dass die Kürzungen erst mal vom Tisch sind.

Moderation: Moderation: Erstmal vom Tisch. Ein Erfolg. Aber es braucht immer wieder neue Kraft. Vielfalt als selbstverständliches Thema in Brandenburg, davon sei man noch ein großes Stück entfernt, so die Aktivistin – auch wenn das Diskriminierungsverbot schon 30 Jahre in der Landesverfassung steht. Gabriele Kerntopf:

Gabriele: Gabriele: Also etwas, was ich immer gedacht habe: es ist so, jede Generation hat für eine Sache immer ihre Kämpfer und Kämpferinnen gehabt. Nehmen wir mal die Frauenbewegung, die ja auch erst 100 Jahre alt ist. In jeder Zeit haben sich Frauen dafür eingesetzt, dass es weiterging und dass es so blieb…Und es ist egal, ob es jetzt Schwule und Lesben sind oder Transmenschen oder Frauen. Es ist immer das Gleiche, nicht locker lassen!

Musik: Musik

Moderation: Moderation: Und das war die zweite Folge unserer Böll.Regional Podcastreihe „Vielfalt in Brandenburg“ Ich empfehle Ihnen auch die anderen beiden Folgen. Darin geht es um junge Sinti und Roma und ihren Alltag oder auch um Empowerment durch Theaterarbeit. Diese und alle weiteren Podcasts der Heinrich-Böll-Stiftung könnt ihr auf Spotify, Apple Podcasts oder der Podcast-App Eurer Wahl abonnieren. Für Feedback und Anregungen schreibt uns eine Mail an: info@boell-brandenburg.de und empfehlt uns gern weiter. Mein Name ist Mandy Schielke. Danke fürs Zuhören. Das war eine Produktion des Audiokollektivs.

Jingle: Jingle: Böll.Regional ENDE

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