Neues Leben in verlassenen Orten: Der Künstlerinnenverein Endmoräne

Shownotes

Verlassene Höfe, verwilderte Brachen, Dachböden voller Dinge: Brandenburg hat unzählige „lost places“. Dort beginnt die Kunst von Endmoräne. Der Künstlerinnenverein mit Wurzeln in Lietzen bei Seelow schafft seit mehr als 30 Jahren außergewöhnliche, ortsbezogene Projekte. Jedes Jahr bespielen die 24 Mitglieder des Vereins einen Ort und verbinden dort mit ihrer Kunst die Vergangenheit mit der Gegenwart. Immer beziehen sie die Menschen der Gegend mit ein und hauchen den Orten so neues Leben ein. Manche Gebäude, Gärten und Anlagen bekommen so sogar einen neue Zukunft. In diesem Podcast begleiten wir die Künstlerinnen von Endmoräne bei einem neuen Projekt in Brandenburg.

Links: Homepage des Vereins Endmoräne: https://endmoraene.de/

Film über die Sommerwerkstatt im Alten Kino in Frankfurt/Oder: https://www.ardmediathek.de/video/rbb-kultur/neue-kunst-im-alten-kino/

Endmoräne auf Instagram: https://www.instagram.com/endmoraene/

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Musikbett: Musik

Moderation: Moderation: Hallo und herzlich Willkommen zu unserer Podcast-Reihe „Vielfalt in Brandenburg“. In dieser 13-ten Folge stellen wir euch den Künstlerinnenverein Endmoräne vor. Die 24 Mitglieder – ausschließlich Frauen – bespielen jedes Jahr im Sommer einen verlassenen Ort in Brandenburg mit ihrer Kunst. Und das seit mehr als 30 Jahren. Wie das aussieht, und was es mit dem Namen Endmoräne auf sich hat, das verrate ich euch gleich. Mein Name ist Bettina Ritter.

Jingel: Jingel „Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg“

Moderation: Moderation: Den Begriff „Endmoräne“ muss ich erst einmal nachschlagen. (Atmo: Tippen auf Laptop) Aha, Hügel aus der Eiszeit. Entstanden dadurch, dass Geröll im Gletscher-Eis abtransportiert und an anderer Stelle abgelagert wurden. Endmoränen gibt es bekanntermaßen auch in Brandenburg. Ich fahre nach Trebnitz, um dort die Künstlerinnen des Vereins Endmoräne zu treffen.

Atmo: Vogelgezwitscher, Schritte im Kies, entfernte Stimmen

Moderation: Moderation: Das Schloss Trebnitz ist ein wunderschön renoviertes herrschaftliches Gebäude mit offensichtlich neuem Anstrich. (Atmo: Schritte im Kies) Die Künstlerinnen von Endmoräne laufen allerdings an der Schönheit vorbei. Ihr Ziel liegt versteckt neben dem Schloss. Hier tut sich ein weites Gelände auf: Ein großer, verwilderter Garten. Mittendrin: ein kaputter Kühlschrank, alte Autoreifen, ein verlassener silberner Wohnwagen. Außerdem: alte Gebäude aus roten Steinen – ein paar sind herausgebrochen, die Dächer sehen schief aus - und eine große Werkhalle mit riesigem Tor. Dorothea Neumann geht hinein.

Dorothea Neumann: Dorothea Neumann: Wir können gerne mal da durchgehen, wenn du möchtest. Also das soll hier alles noch verschwinden, was hier so rumsteht. Also das brauchen wir natürlich nicht...

Moderation: Moderation: In der verstaubten Halle stehen wahllos Plastikbehälter herum, Holzlatten und Pappen lehnen an den Wänden, ein Lattenrost. Im Raum steht eine orangefarbene Maschine mit einem Stuhl davor, darunter ein Hügel grobe Holzspäne – als sei hier jemand mitten in der Arbeit weggegangen und wäre nicht wiedergekommen. Die Fenster sind dreckig, alles hat den Anschein von verlassen und vergessen. An manche Objekte ist rot-weißes Plastikband geknotet – eine Markierung der Künstlerinnen, dass diese Gegenstände nicht weggeräumt werden sollen. Dorothea Neumann bleibt vor einer Werkbank stehen, auf der metallene Kisten liegen.

Dorothea Neumann: Dorothea Neumann (Atmo: Geräusche, Papier knistert, Metall) Das sind so alte Werkzeugkästen. Und das sind einfach schöne alte Teile. Die gibt es heute gar nicht mehr in dieser antiken Form. Und so was reizt uns natürlich sehr. Da ist innen auch noch ein kleines Kästchen drin. Und irgendjemand macht da was mit, oder mit diesen Glühbirnen.

Moderation: Moderation: Was wohl daraus wird? Vielleicht hängt eine Künstlerin die Glühbirnen hier mitten im Raum zu einer Installation auf? Oder fertigt eine Skulptur mit den Werkzeugkästen? In wenigen Wochen treffen sich die Frauen von Endmoräne auf diesem Gelände zu ihrer Sommerwerkstatt. Zwei Wochen verbringen sie dann hier, arbeiten und leben zusammen, kochen und essen gemeinsam und übernachten an diesem „verlassenen Ort“. Danach wird das Gesamtkunstwerk der Öffentlichkeit präsentiert. Jedes Jahr gibt es eine Sommerwerkstatt, immer an einem anderen Ort. Sie ist Höhepunkt und Herzstück der Vereinsarbeit.

Dorothea Neumann: Dorothea Neumann: Also wir machen dann Dinge hier oder entwickeln Projekte oder Kunstobjekte, die man sonst gar nicht machen würde, weil man eben diese Räume nicht hat und diese Inspiration nicht hat. Und das ist für uns dann auch das Verführerische, weil man dann Sachen machen kann. In so einem White Cube oder so, in der Galerie, das geht ja gar nicht.

Moderation: Moderation: Ortsbezogene Kunst, so der Fachbegriff. Wie jedes Jahr geht es darum, das, was die Künstlerinnen an diesem Ort vorfinden, zu Kunst zu machen oder mit Kunst zu verbinden. Das Vergangene in die Gegenwart zu holen und daraus eine neue Zukunft zu kreieren, sagt Kerstin Baudis.

Kerstin Baudis: Kerstin Baudis: Ich glaube, es hat mit den räumlichen Möglichkeiten auf dem Land zu tun und auch mit dem Finden von etwas, was noch existiert, aber was eben auch einen Wert hat. Und das ist natürlich, glaube ich, auch etwas, das Endmoräne permanent tut, ist diese Neubewertung, es wieder in den Fokus stellen und auch klar machen, vergesst das nicht, es ist vorhanden.

Moderation: Moderation: Die Künstlerinnen haben schon viele verlassene Orte in Brandenburg „bekunstet“. Beispielsweise das alte Kino und frühere „Lichtspieltheater der Jugend“ in Frankfurt/Oder. Dorothea Neumann hängte in einen der Räume eine meterhohe luftige Installation aus Gaze und Transparentpapier, beschienen mit blauem Licht, sanft bewegt durch einen Ventilator, dazu ertönten Chansons von Marlene Dietrich. Der Titel: Blauer Engel, nach dem berühmten Film der Schauspielerin. In dem Singer/Veritas-Nähmaschinenwerk in Wittenberge lies Margita Haberland Schülerinnen und Schüler des örtlichen Oberstufenzentrums mit Rollkoffern durch die verlassene riesige Halle laufen. Alle waren in knallrote Overalls gekleidet. Auf die Rücken hatten sie Gründe geschrieben, warum sie in Wittenberge bleiben wollten. Die Gebäude, die Endmoräne bespielt, stehen teils seit Jahrzehnten leer, durch die Sommerwerkstatt wird ihnen wieder Leben eingehaucht. Das ist für die Menschen aus der jeweiligen Gegend und die Besucherinnen und Besucher oft berührend, erinnert sich Dorothea Neumann.

Dorothea Neumann: Dorothea Neumann: Also in Frankfurt, die waren zu Tränen gerührt in diesem Kino, was ja schon ewig geschlossen war. Und da habe ich meine Jugend verbracht und da haben wir gesessen und bei dem Film haben wir uns geküsst oder... Damals in Neuhardenberg, in dieser Fliegerschule, da kamen die ehemaligen Flieger, die Leute, die die Hemden genäht haben, der Oberst sagte, das war mein Arbeitszimmer und so. […] Und die kommen dann gerne, die Leute. Es ist ein Stück ihres Lebens, was sie damit verbinden.

Moderation: Moderation: Die Sommerwerkstatt ist ein Kunstprojekt, das die Menschen wieder zurück holt an vergessene und verlassene Orte. Sie schafft neue Beziehungen zwischen Raum und Erinnerung, zwischen Kunst und Gesellschaft. Die Künstlerinnen beziehen dabei die Menschen, die hier gewirkt haben, in ihre Arbeit ein, erzählt Kerstin Baudis.

Kerstin Baudis: Kerstin Baudis: Also eigentlich beziehen wir das gesamte Umfeld immer mit ein. Und es hat immer den Aspekt, dass dann auch nicht nur Leute kommen, die kunstaffin sind, sondern dass eben auch wirklich wir Leute aktivieren und auch in Orte hineinbringen, die lange, lange geschlossen waren, die 35 Jahre geschlossen waren. In Eberswalde, zum Beispiel in der Papierfabrik Wolfswinkel, da hatten wir auch eine Anzeige mit dem Wasserzeichen der Papierfabrik gesetzt. Und haben da explizit die Arbeiter eingeladen. […] Und da gab es dann so Begegnungen, wo Leute, die dort gearbeitet haben, über viele, viele Jahre, auch teilweise über 40 Jahre, die sind sich da nach unglaublich langer Zeit wieder begegnet. Das kam zu sehr rührenden Szenen. Und die beginnen ja dann auch immer aus ihren Erinnerungen, diese Räume wieder einzurichten, also so, wie sie mal waren. Und das ist immer ein Prozess, der setzt ja eigentlich noch vor der Sommerwerkstatt an, wo diese Kontakte stattfinden und diese Information und der Austausch ist.

Moderation: Moderation: Die Projekte bringen Menschen zusammen, die sonst keine Berührung miteinander habe. Sie haben soziale, manchmal fast schon sozialarbeiterische Funktion. Auch deshalb werden die Sommerwerkstätten von der öffentlichen Hand gefördert, unter anderem vom Land Brandenburg. Nicht selten erhält ein auf diese Weise wiederbelebter Ort eine neue Zukunft, erzählt Dorothea Neumann.

Dorothea Neumann: Dorothea Neumann: Es war zum Beispiel in Wittenberge so - da war ja vorher auch schon in den umliegenden Gebäuden, da waren schon einige Firmen angesiedelt - aber ich habe gehört, dass da jetzt auch in diesen Hallen, wo wir waren, was passiert. Dann ist es Groß Rietz, da ist jetzt was passiert, also das war im Schwange, [...] aber da ist inzwischen, ist es auch verkauft, das Schloss. Und das Frankfurter Kino natürlich, da kommt ja jetzt die Dependance vom Diesel-Kraftwerk rein, die sind ja schon angefangen zu bauen, also Kunsthalle Brandenburg sozusagen, und da waren wir auch als Vorboten.

Moderation: Moderation: Auch auf dem Gelände bei Schloss Trebnitz soll nach der Sommerwerkstatt etwas neues entstehen: Eine Nachlassstiftung für Bildhauer*innen. In ihr wird die Arbeit von Endmoräne gespiegelt: Das Vergangene mit der Gegenwart und der Zukunft verbinden. Gegründet wurde der Verein 1991 nach dem Mauerfall. Angefangen hat alles aber viel früher, in den 80er Jahren, damals noch in der DDR. Und zwar mit Erika Stürmer-Alex. Die Künstlerin brauchte Raum für ihre Plastiken und fand ihn in Lietzen bei Seelow. Dort kaufte sie ein altes baufälliges Gehöft mit großem Grundstück und renovierte es in Eigenregie. Bald wurde es zum Treffpunkt, vor allem für ihre Schülerinnen und Schülers des Kunstzirkels, den sie damals im Kulturhaus Rüdersdorf unterrichtete.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Daraus entstand Endmoräne, weil die jungen Leute dann mit mir mitzogen. Ich hatte natürlich auch im Hinterkopf, ich brauch so einen großen Hof, der für sich allein ist, damit wir da uns treffen können und Krach machen können, damit wir nicht kontrolliert werden. [...] Und die kamen alle mit, die haben mir geholfen, diese Ruine zu restaurieren. Und nach und nach wurde es immer schöner und bewohnbarer. 83 war gleich die erste Sommerwerkstatt. Die haben wir dann jedes Jahr in Lietzen im Kunsthof gemacht, mit wechselnden Besetzungen, sag ich mal. Die jungen Leute wurden älter, die gingen weg, die kamen zurück, die brachten ihre Freunde mit. Und das war dann so mit Mundpropaganda. Es gab in der DDR ja auch nicht viele Orte, wo man so frei sein konnte.

Moderation: Moderation: Mit ihrem Kunsthof schuf Erika Stürmer-Alex einen Raum für freie Gedanken in einem Überwachungssystem. Der Hof in Lietzen wurde zur Keimzelle. Fernab von Blicken des Staates, mitten auf dem Feld. Hier entstand ein Paradies der Kreativität, in dem Gemeinschaft wichtiger war als Regeln.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Ich war die Lehrerin, ja, aber nicht so... Ich habe ja nicht vermittelt das Abzeichnen, das Nachmachen in erster Linie, sondern mein Prinzip war das sich selber finden durch kreativ sein, durch Farbe, durch Form, durch sich selbst ausdrücken. Ich habe natürlich auch klassische Grundübungen gemacht mit den allen. Aber das eigentliche war das andere, weil das in der DDR ja nun überhaupt nicht gelehrt wurde. Sich selbst zu finden.

Moderation: Moderation: Der Mauerfall 1989 und die Wiedervereinigung waren eine Zäsur. Wie viele andere in Brandenburg wurde auch Erika Stürmer-Alex erst einmal arbeitslos. Viele ihrer Auftraggeber, Baufirmen, für die sie baubezogene Kunst machte, schlossen die Betriebe. Ab 1995 wurde in Brandenburg wieder gebaut, Stürmer-Alex verdiente wieder Geld und damit ging es auch für den Kunsthof Lietzen weiter.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Ich dachte, als die Wende war, jetzt braucht keiner mehr Lietzen als kreativen Treffpunkt. Alle können ausschwärmen und überall frei sein und Kunst machen, wie sie wollen. Ja, es war aber gar nicht so. Das Gegenteil. Der Hof war manchmal richtig überschwemmt. Da kamen die West-Berliner, die haben jetzt Brandenburg entdeckt. Dann kamen die Musikerinnen. Die haben entdeckten, man kann hier so schön Krach machen. Wir hatten zwei große Musikerinnen-Symposien mit Zelten aufgebaut und sonst was.

Moderation: Moderation: Bald entwickelte sich aus den Treffen der Verein Endmoräne. Der Grund war ein eher praktischer, erinnert sich die Gründerin.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Der Grund war der, wir wollten zu unseren Sommerwerkstätten, die ja immer nur eine begrenzte Zeit um Sommer waren, endlich ausländische Künstlerinnen und West-Berliner und Westdeutsche Künstlerinnen, was wir vorher nicht konnten, einladen. Wir wollten die jetzt endlich kennenlernen und... Und die wollten aber Geld haben! Das war uns neu. Die haben gesagt, sie können sich das nicht leisten, das Fahrgeld und zwei Wochen einfach kein Geld verdienen können sie sich auch nicht leisten. Ja gut, wo kriegen wir Geld her? Da müssen wir also einen Verein gründen und Anträge stellen. Da haben wir erst mal mitgekriegt, wie das im Westen läuft. Bei uns lief das immer so, jeder hat selber bezahlt, wie er Zeit hatte und wie er Geld hatte.

Moderation: Moderation: Schnell war auch klar, dass der Verein ausschließlich Frauen aufnehmen wollte.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Ja, und dann war auch die Frage, nur Frauen oder auch Männer. Und die vorhandenen Frauen plädierten für Frauen. Gerade die Westfrauen, die dazugekommen waren, die sagten, die Frauen brauchen auch eine Lobby. Und die Männer, die boxen uns immer weg. Na ja, dann war das klar.

Moderation: Moderation: Der Verein Endmoräne – ein Wiedervereinigungsprojekt? Erika Stürmer-Alex sagt Ja.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Ja, ist es. Ja, natürlich, vorher in der DDR haben wir das Gegenteil gemacht, da haben wir versucht, alles schön in unseren vier Wänden zu halten und nicht nach außen zu wirken. Und jetzt war das viel schöner, also wir konnten auch nach Außen wirken, wir konnten dann, was wir auch gemacht haben, als wir Endmoräne waren, die erste große Aktion war Landart auf dem ganzen Gelände um den Kunsthof herum auf den Feldern. Es war schon sehr sichtbar. Dann haben wir die Kirchen der Umgebung bekunstet, dann haben wir den leerstehenden Bahnhof Seelow bekunstet. Dann sind wir immer weiter nach außen gegangen, vom Hof weg, haben aber dort immer noch gewohnt. Und jetzt ist ja Endmoräne ganz und gar unabhängig vom Kunsthof Lietzen. Weil die Entfernungen ja auch schon zu groß sind und dadurch ist der Kunsthof Lietzen nicht mehr das Zentrum von Endmoräne.

Moderation: Moderation: Der Verein hat seine Grenzen erweitert. Einmal waren die Künstlerinnen sogar nach Japan eingeladen, in einen riesigen Bonsai-Garten, erinnert sich Kerstin Baudis.

Kerstin Baudis: Kerstin Baudis: Da hatte ich so eine Idee, das wär doch wunderbar, wenn wir da mit so einem - die Japaner lieben ja Gartenzwerge so - wenn wir so einen Riesen-Teil alle zusammenbauen, und die Frage war, wie kriegt man das jetzt nach Japan, in Stücken? Wenn da jeder so einen Teil von diesem Gartenzwerg mitnimmt und dann wird es vor Ort in einem Bonsai-Garten aufgebaut. Eine andere Idee wäre gewesen, da eine preußische Schlacht zu schlagen zwischen den Mini-Bonsais mit Gartenzwergen.

Moderation: Moderation: Dazu ist es nicht gekommen, das Erdbeben in Fukushima 2011 und die sich anschließende Atomkatastrophe verhinderten die Reise. Trotzdem endet das künstlerische Wirken des Vereins nicht an den Grenzen Brandenburgs. Mit polnischen Künstlerinnen gibt es eine lange Zusammenarbeit. Auch in diesem Jahr sind einige von ihnen Gäste der Sommerwerkstatt.

Kerstin Baudis: Kerstin Baudis: Die haben wir ja mal kennengelernt, weil wir ein Projekt hatten an der Grenze in Frankfurt-Oder. Und da war es natürlich naheliegend, warum machen wir eigentlich nur auf der einen Seite an so einem Grenzpunkt. Es wäre schön, zwei Sachen zu machen. Und da ist dann dieses Projekt entstanden, „Thea, wir fahren nach Lodz“. Und da haben wir dann eine Zuckerfabrik, eine alte Industriezuckerfabrik in Frankfurt Oder, da haben wir dann die polnischen Gastkünstlerinnen eingeladen. Und dann haben sie uns eingeladen. Wir waren bei ihnen zu Gast in Łódź, ja genau, und das war dann natürlich auch toll.

Moderation: Moderation: Einladungen nach Japan, nach Polen und natürlich die ortsbezogene Kunst an verlassenen Orten – allein arbeitenden Künstlerinnen wird so etwas kaum geboten. Viele Mitglieder haben sich deshalb Endmoräne angeschlossen. Auch, wenn es sich finanziell nicht lohnt – trotz Förderung, wie Dorothea Neumann sagt. Die Künstlerinnen sind immer mit viel Idealismus bei der Sache.

Dorothea Neumann: Dorothea Neumann: Ich meine, wir arbeiten alle ehrenamtlich. Und jetzt mal abgesehen von diesem kleinen Honorar, was man da bekommt - aber wir wollen das auch. Also ich weiß noch, damals bei dieser Feier, 25 Jahre, ihr seid verrückt, warum macht ihr diesen Stress? Ja, ohne Leidenschaft und Freude und Spaß und Lust geht das gar nicht. Also das braucht man schon.

Moderation: Moderation: Leidenschaft, Freude und Spaß sind bei den Künstlerinnen von Endmoräne auch nach mehr als 30 Jahren deutlich zu spüren. Ein neuer Ort ist immer eine neue Inspiration. Die leeren Räume sprechen zu den Künstlerinnen, und die antworten mit ihrer Kunst. Auf die Idee, „lost places“ zu „bekunsten“, kam Erika Stürmer-Alex übrigens in den 1980er Jahren, als sie auf der Suche nach einem Gelände war, auf dem ihr Kunsthof entstehen sollte.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Diese leerstehenden Gebäude taten mir immer so leid, die waren immer so traurig. Und so schade, ich fand, wieso denn? Wieso denn, der Ort ist wunderbar, das Gebäude ist wunderbar und ich dachte, wenn wir jetzt in leerstehenden Gebäuden Action machen und dann Ausstellungen, dann machen wir aufmerksam. Und vielleicht kommt dann einer und sagt, das ist doch gut, jetzt will ich mal hier was draus machen.

Moderation: Moderation: Das ist seit der Wiedervereinigung auch mehrmals geschehen. Aber trotz Baubooms in Brandenburg, hat das Land immer noch viele ungenutzte, lang leerstehende Gebäude – ein Glück für Endmoräne, so Kerstin Baudis.

Kerstin Baudis: Kerstin Baudis: Eigentlich gehen wir ganz bewusst auf die Suche. Wir kriegen auch manchmal inzwischen von Kommunen Angebote, die sagen... Ey, Endmoräne, wir haben da was, und wie wär's denn, wenn ihr mal kommen würdet?

Moderation: Moderation: Die Orte gehen den Künstlerinnen also nicht aus. Bei den neuen Mitgliedern sieht es etwas anders aus. Derzeit engagieren sich 24 Künstlerinnen bei Endmoräne, die meisten im mittleren Alter. Dabei wünscht sich der Verein durchaus Nachwuchs und jüngere Künstlerinnen. Dass die ausbleiben, hat strukturelle Gründe, meint Gründungs-Frau Stürmer-Alex. Viele seien heute Einzelkämpferinnen.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Also eigentlich sind sie, bis sie 35 sind, ununterbrochen unterwegs. Wenn es geht, auch im Ausland, da gibt es auch Bewerbungen. Und wenn sie 35 Jahre alt sind, müssen sie es geschafft haben, auf dem Kunstmarkt sich situiert zu haben. Weil danach gibt es eben keine Förderung mehr. Und deshalb habe ich so durch Beobachtung festgestellt, deshalb haben die jungen Künstlerinnen gar keine Zeit, sich zu binden an irgendeinen Verein. Die sind sowieso immerzu auf Achse. […] Und vielleicht sind deshalb nur Ältere hier drin.

Moderation: Moderation: Für viele sei es auch nicht attraktiv, Kunst auf dem Land zu machen, meint Stürmer-Alex.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Naja, das Land. Das Land ist doch immer Arsch der Welt. Und Menschen, die auf dem Land Kunst machen, kommen gar nicht mehr vor. Die ganzen Kunst-Theoretiker und Ausstellungsmacher, die verlassen ja ihre Städte überhaupt nicht. Die gucken ja gar nicht, was es sonst noch gibt.

Moderation: Moderation: Dabei gibt es so viel, so Stürmer-Alex. Und die Endmoräne-Künstlerinnen tragen enorm dazu bei, indem sie jedes Jahr mit ihrer Sommerwerkstatt und der anschließenden Ausstellung dazu einladen, das Land Brandenburg durch ihre künstlerische Brille zu erleben.

Erika Stürmer-Alex: Erika Stürmer-Alex: Ich lebe sehr gern auf dem Land. Ich bin so glücklich, hier zu sein. Gerade jetzt, wenn das Jahr jetzt wieder anfängt und alles blüht und es ist so schön. Aber die Menschen, die das nicht kennen, die merken gar nicht, wie sie in der Stadt verkümmern. Und es gibt übrigens auf dem Land sehr viel Kultur, also wirklich. Und das wird immer mehr. Und das ist sehr schön. Das Land nabelt sich sozusagen längst ab von den Städtern. Und die Städter ja auch vom Land. Das ist wohl nicht anders, aber wir machen ja auch sehr gute Kultur.

Moderation: Moderation: Damit das so bleibt, wollen die Künstlerinnen in Zukunft immer weiter ihre Sommerwerkstatt veranstalten. Sie wollen Vergangenes mit Gegenwärtigem und Zukünftigem verbinden und so mit ihrer ortsbezogenen Kunst einen Abdruck im Land Brandenburg hinterlassen - genauso wie ihre geologische Schwester aus der Eiszeit.

→ Musikbett: Musik

Moderation: Moderation: Das war die 13-te Folge unserer Podcastreihe „Vielfalt in Brandenburg“ über den Künstlerinnenverein Endmoräne. Anfang Juli könnt ihr übrigens die Ergebnisse der diesjährigen Sommerwerkstatt in Trebnitz anschauen. Nähere Infos stehen in den Shownotes. Informationen zu unserer Podcast-Serie und weitere Folgen findet ihr auf der Webseite www.boell-brandenburg.de. Diese Reihe und alle weiteren Podcasts der Heinrich-Böll-Stiftung könnt ihr auf der Podcast-App Eurer Wahl abonnieren. Für Feedback und Anregungen schreibt uns eine Mail an: info@boell-brandenburg.de und empfehlt uns gerne weiter. Ich bin Bettina Ritter - Tschüss und bis zum nächsten Mal.

→ Jingle: Jingle „Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg“ Manuskript-Ende

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