Der Erfinder einer Stadt: Der Künstler Michael Kurzwelly

Shownotes

Michael Kurzwelly gestaltet die Zukunft, indem er sie erfindet. In der deutsch-polnischen Grenzregion um die Städte Frankfurt/Oder und Słubice rief der Interventionskünstler die Stadt Słubfurt ins Leben. Die Stadt hat ein Wappen, ein Stadtparlament und einen zentralen Ort, an dem man sich trifft: Den Brückenplatz. Außerdem ist Słubfurt die Hauptstadt des Landes Nowa Amerika, eine weitere Erfindung von Kurzwelly. Mit seiner Interventionskunst will er Nationalität und alles, was mit ihr zu tun hat als Konstruktion entlarven. Und durch seinen Gegenentwurf eine bessere Welt schaffen. Mit einer menschlichen Gesellschaft, in der verschiedene Kulturen gleichberechtigt miteinander leben.

Links: Homepage von Nowa Amerika

Informationen über den Brückenplatz: https://nowa-amerika.eu/wp-content/uploads/2023/01/Profil-2022-ebook.pdf https://nowa-amerika.eu/wp-content/uploads/2024/02/Profil-2023.pdf

Einzelausstellung von Michael Kurzwelly in Posen (11.10. – 10.11.2024)

Michael Kurzwelly auf Instagram

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→ Musikbett

Mod:Viele wünschen sich eine bessere Welt. Eine menschlichere Welt, in der verschiedene Kulturen gleichberechtigt zusammenleben. Aber wie kommen wir dort hin? Der Künstler Michael Kurzwelly hat eine mögliche Antwort: Er hat in der Grenzregion zwischen Deutschland und Polen erst eine Stadt und dann ein ganzes Land erfunden. Hier versuchen die Bürgerinnen und Bürger, diese „bessere Welt“ zu verwirklichen. Dafür hat Michael Kurzwelly unter anderem das Bundesverdienstkreuz bekommen. Wir porträtieren den Künstler in der zwölften Folge unserer Podcastreihe „Vielfalt in Brandenburg“. Mein Name ist Bettina Ritter – Hallo!

→ Jingle „Vielfalt in Brandenburg“ Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg

Kurzwelly: Menschen sind kommunikative Wesen und wir können uns nur in der Kommunikation und in dem ständigen Austausch entwickeln. Und dazu gehören eben auch Narrationen, die wir erzeugen. Und so ist Deutschland so eine Narration, Polen so eine Narration. Und wir wachsen damit auf und glauben dann das Ganze, dass das so sei und identifizieren uns damit.

Mod:Für Michael Kurzwelly sind Nationen und nationale Identität Konstruktionen. Er tritt an, sie zu de-konstruieren. Mit seiner Interventionskunst. Angefangen hat alles vor 25 Jahren zwischen Deutschland und Polen. Michael Kurzwelly zog von Posen nach Frankfurt/Oder, das durch eine Brücke über die Oder mit dem polnischen Słubice [sprich: Swubitze] verbunden ist.

Kurzwelly: Ich habe vorher acht Jahre in Poznań gelebt und bin damals aus Poznań hier her gekommen und habe versucht – ich bin ja Künstler von Beruf – habe versucht, künstlerisch die Frage nach Identität zu stellen und habe eine Identität für den Zwischenraum gesucht. Wir befinden uns ja hier in Słubfurt, das heißt eben Słubice und Frankfurt zusammen gedacht als ein gemeinsamer Stadtraum.

Mod:1999 gründete Kurzwelly Słubfurt, seit 2000 ist die Stadt im Register der europäischen Städtenamen eingetragen. Sie hat auch ein Stadtwappen: Ein orangefarbener Hahn steht auf einem Ei vor blauem Hintergrund.

Kurzwelly: Im Stadtwappen von Frankfurt war ein Hahn abgebildet auf einem Berg vor den Stadttoren mit so gefährlich ausgefahrenen Krallen. Und das Słubicer Stadtwappen hatte eben eher diesen Hahn, den man dort sieht, der ganz gemütlich da steht – der stand im luftleeren Raum. Und da habe ich daraus eben auch das zusammengefügt und aus dem Berg wurde eben ein Ei, weil damit die philosophische Ausgangsfrage gestellt wird. Und auch hier sieht man daran den Humor, der dabei ganz wichtig ist. Und das ist seitdem unser Stadtwappen.

Mod:Das Motiv und die Farben wirken wie aus den 1970er Jahren.

Kurzwelly:Es gibt immer wieder Leute, die sagen, da müsse es ein bisschen moderner aussehen oder so. Ich finde nein, denn diese Stadtwappen, die haben ja meist so etwas Furchtbares. (lacht) Und deshalb soll es auch ruhig ein bisschen furchtbar sein.

Mod:Słubfurt, das ist für Kurzwelly der Versuch, einen Raum zu erfinden, den man nicht nationalstaatlich denkt, sondern der offen ist für alle, die mitmachen und ihn gestalten möchten. Wenn nur genug Menschen an Słubfurt [sprich: Swubfurt] glauben, gibt es die Stadt auch, dachte der Künstler - und er sollte Recht behalten.

Kurzwelly: Na ja, es gibt halt Słubfurterinnen und Słubfurter, die mitmachen. Das begann damit, dass ich erst einmal alles durchgespielt habe, was so der Nationalstaat an Strategien sich ausgedacht hat, damit die Menschen glauben, dass es ihn gibt, weil der Nationalstaat ja eine Wirklichkeitskonstruktion ist. Es gibt ihn nur, weil es eine bestimmte Anzahl von Menschen gibt, die daran glauben. Wenn keiner mehr glauben würde, dass es Deutschland oder Polen geben würde, dann gäbe es das auch nicht mehr.

Mod:Die Słubfurter Bürgerinnen und Bürger haben schon einige Aktionen gestartet, um zu beweisen, dass es ihre Stadt gibt: An Karneval 1999 gab es eine erste Straßenumbenennung. Słubfurterinnen und Słubfurter überklebten die Straßenschilder in Frankfurt/Oder mit den Straßennamen ihrer Stadt. 2008 pachtete Słubfurt die Grenzkontroll-Häuschen am Übergang zu Polen und machte daraus ein temporäres Rathaus.

Kurzwelly:Und wir haben dann einen Einbürgerungstest gemacht, da, wo die Grenzanlagen sind. Wenn man Słubfurter werden wollte, musste man den bestehen und danach wurde man fotografiert und kriegte dann einen Personalausweis zum Beispiel.

Mod:Das Projekt Słubfurt wurde so erfolgreich, dass es Kurzwelly zu klein wurde. Warum nur eine Stadt – wieso nicht gleich ein ganzes Land erfinden? Deshalb gibt es seit 2010 Nowa Amerika. Auf der Homepage des Landes heißt es: „Nowa Amerikas Grenzen sind fließend. Mal dehnt sich unser Land in der Peripherie bis Poznań und Berlin aus, mal zieht es sich wieder zusammen. Jedoch hat Nowa Amerika ein Rückgrat, das durch die ehemalige deutsch-polnische Grenze, also die beiden Flüsse Oder und Neiße gebildet wird.“ Wie bei Słubfurt liefert Kurzwelly auch für Nowa Amerlika Beweise für die Existenz: Es gibt eine Landkarte und eine Nationalhymne.

→ Hymne Nowa Amerika

Kurzwelly:Und so ergeben sich immer wieder verschiedene Dinge, aber nie mit dem Ziel, mit der Idee, praktisch den Nationalstaat zu perpetuieren, sondern immer mit dem Ziel, eben gerade zu zeigen, wie absurd das ist, eher dieses Monty Pythonhafte hervorzukehren und auch dazu einzuladen, sich davon ein Stück weit frei zu machen. Weil, wir bemerken ja im Moment gerade wieder überall, wo alle sich in ihren Nationalstaat zurückziehen, in ihre kleinen Egoismen – überall haben populistische, nationalistische Parteien so nach und nach Oberwasser. Und das ist brandgefährlich.

Mod:Mit Nowa Amerika und Słubfurt [Swubfurt] versucht Michael Kurzwelly gegenzusteuern. Zentraler Ort der Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger ist der Brückenplatz: Eine alte Schul-Turnhalle auf deutscher Seite, wenige Geh-Minuten von der Oder und der Brücke zwischen den beiden Städten entfernt. Michael Kurzwelly steht in der riesigen Halle und schaut sich um.

Kurzwelly:Das ist im Grunde die Agora von Słubfurt. Hier versuchen wir, die Demokratie von unten zu leben. Und bereits 2009 fanden ja die ersten Kommunalwahlen von Słubfurt statt. Und seitdem gibt es das Słubfurter Parlament, bei dem heute eben alle, die kommen, automatisch Stadtverordnete sind und eine Stimme haben. Also auch heute um 18:00 Uhr. Wir nennen das jetzt Stammtisch. Das findet einmal in der Woche statt. An dem runden Tisch da hinten kann jeder kommen, der will. Also Sie könnten sich auch dazusetzen und werden dann automatisch zur Słubfurterin und haben eine Stimme. Und so hat sich das dann hier auch entwickelt, dass die Leute wussten, sie können mit ihren eigenen Ideen herkommen und wir versuchen die dann gemeinsam zu realisieren.

Mod:Die alte Turnhalle ist mit Stellwänden in mehrere Bereiche unterteilt. Ein großer runder Tisch, an dem am Abend das Stadtparlament tagen wird, ein sogenannten „Free-Shop“, in dem es Kleidung, Matratzen, Spielsachen und anderes gratis gibt und ein Reparatur-Café.

Oton Atmo (man hört den Holzboden unter Schritten knarzen, Kurzwelly schließt ein Schloss auf, öffnet eine knarzende Tür)

Kurzwelly: Das ist auch symbolisch, das Vorhängeschloss (lacht). Ja, und wir kriegen immer wieder mal Fahrräder geschenkt. Und die versuchen wir dann aufzumöbeln, nehmen eben Fahrräder auseinander, auch als Ersatzteile, und dann kommt aber wie letzte Woche eine afghanische Familie, die ein älteres Fahrrad für ihr Kind hatte, das jetzt gerade aufgemöbelt wird. Im Moment ist Fahrrad das Hauptding, was hier gemacht wird.

Atmo (weitere Schritte auf knarzendem Boden)

Mod:Michael Kurzwelly läuft weiter durch die Turnhalle zum Free-Shop.

Kurzwelly: Also der Parkettfußboden knarrt hier sehr schön. Das hört man sehr gut. (lacht)

Kurzwelly: Hier sind eben Kleiderständer und Kleiderregale usw. und hier kann eben jeder kommen und ein Kleidungsstück oder mehrere bringen oder mitnehmen. Da gibt es auch keine Kontrolle. Man muss nicht, wenn man zwei Stücke bringt, darf man zwei mitnehmen. Nein, man kann so viel mitnehmen wie man will, man kann so viel bringen wie man will.

Bettina: Also man sieht hier auch zum Beispiel ein Kinderbett mit einer Matratze und ein Teddy auf dem Boden oder Bilderrahmen und viele Regale, wo relativ ungeordnet aber übersichtlich ganz viele Klamotten drin sind. Auch viel Kinderkleidung sehe ich.

Kurzwelly: Genau.

Mod:Um die Turnhalle herum ist ein großer Garten. Hier können die Słubfurterinnen und Słubfurter Gemüse und Kräuter anbauen und Feste feiern. Seit 2014 kommen immer wieder Geflüchtete, aus Syrien, Afghanistan oder auch Kamerun.

Kurzwelly: Słubfurt wurde von den meisten Leuten immer als deutsch-polnisches Projekt gesehen. Aber mir ging es ja gar nicht einfach um irgendeine deutsch-polnische Freundschaft oder so. Klar können die auch entstehen, aber mir ging es um eine andere Raum-Definition und auch Lebensraum-Definition. Und deshalb habe ich natürlich sofort alle Geflüchteten eingeladen, zu uns zu kommen, weil bei uns braucht man kein Asyl beantragen, bei uns gehört jeder sofort dazu. Und das hat tatsächlich funktioniert. Also mit Thomas Spicker, ein Freund von mir, der ist Deutschlehrer und singt aber auch, sind wir damals 2014 in die Gemeinschaftsunterkunft gegangen für Geflüchtete und haben alle Türen geklopft und gefragt, wer hat von euch Lust, mit uns zusammen zu singen? Und dann haben wir eben gesammelt. Jeder aus seinem Kulturbereich hat ein Lied gestiftet, das wir dann gemeinsam eingeübt haben, sind sogar auf dem Weihnachtsmarkt hier aufgetreten, damit mit Liedern aus Somalia, aus Syrien, aus Kamerun und so weiter und so fort. Und das war der Ausgangspunkt im Grunde.

Mod:Feste feiern, unterschiedliche Kulturen, zusammen Gärtnern und demokratischer Austausch. Das hört sich alles schön an. Ein soziales Kunstprojekt. Michael Kurzwelly muss sich aber auch kritischen Fragen stellen.

Kurzwelly: Die Geflüchteten haben mir gesagt, ist ja schön, dass wir jetzt Nowa Amerikaner sind, aber was hilft uns das denn? Wir sind hier im Asylverfahren, wir wissen nicht, ob wir hier bleiben dürfen oder nicht. Und da haben wir gesagt, da müssen wir natürlich auch in dieser Parallelwelt euch helfen. Und als Freddy und Cyprian, beide aus Kamerun, noch im Rahmen von Dublin III nach Spanien abgeschoben werden sollten, da kam die Polizei nachts in die Gemeinschaftsunterkunft. Sie waren zum Glück gerade nicht da. Und dann sind sie ganz aufgeregt zu mir gekommen. Was können wir machen? Und dann habe ich versucht, einen Anwalt zu finden. Und Dieter Bollmann, der wollte eigentlich gerade seine Kanzlei schließen. Der hat dann gesagt, okay, ich mach weiter und hat sich dann bereiterklärt, die Geflüchteten ehrenamtlich zu verteidigen. Und so sind dann im Laufe der Jahre 260 Leute draus geworden, die er verteidigt hat.

Mod:Die „Parallelwelt“, wie Michael Kurzwelly sie nennt, macht sich auch an anderen Stellen bemerkbar.

Kurzwelly: Auf dem alten Brückenplatz wurden wir mal von Neonazis angegriffen und hier ist mir mal von einem Hooligan die Nase eingeschlagen worden, bin ich im Krankenhaus gelandet. Aber das waren nicht unsere Communities, das waren Leute von außen.

Mod:Michael Kurzwelly lässt sich davon nicht entmutigen.

Kurzwelly: Nein. Also, was für den Bildhauer der Stein ist, ist für mich als soziale Plastik eben die Gesellschaft. Und es ist halt so, dass das Problem ist, dass manche Leute erst mal diese Form von Kunst nicht kennen, weil für sie es ein Bild an der Wand Kunst oder ein eine Skulptur im Raum. Und dann war anfangs so, was fällt dem ein, hier einfach die Stadt umzubenennen. Wer hat dem das Recht gegeben? Also solche Dinge kamen da anfangs und dann haben sich die Leute daran gewöhnt. Mittlerweile reden ja beide Städte von der europäischen Doppelstadt. Andererseits hat die AfD, die ja jetzt 28,7% errungen hat bei den Kommunalwahlen, da stehen wir im Wahlprogramm drin als etwas, was unbedingt und sofort abzuschaffen sei, weil wir hier doch sinnlos Steuergelder verbraten würden und der selbsternannte Künstler Kurzwelly seinen Unsinn betreibt. So, und das steht richtig so Schwarz auf Weiß im Wahlprogramm. Ich lasse mich auch davon natürlich nicht beirren, aber das sind so zwei Seiten dieses Fächers.

Atmo (Stimmen, Stammtisch)

Mod:Es ist kurz vor 18 Uhr. Die vielen Stühle um den großen runden Tisch in der Turnhalle füllen sich. Vom Garten kommen zwei Männer in den Raum, in den Händen tragen sie prallgefüllte Plastiktüten mit frischen Kräutern. 20 Menschen sind anwesend, drei davon sind online dazugeschaltet, ihre Köpfe erscheinen über einen Beamer auf einer Dia-Leinwand.

Kurzwelly:Okay. Ja ganz offiziell herzlich willkommen. Ich brauche, glaube ich, nicht erklären, was der Stammtisch ist. Alle diejenigen, die, die jetzt hier unsere Gäste sind, wissen das auch schon.

Mod:Der Stammtisch ist das Słubfurter Parlament, jede und jeder, der oder die anwesend ist, hat ein Recht zu sprechen und gehört zu werden. Einer nach dem anderen stellt sich kurz vor. Sie kommen aus Deutschland, Polen, Afghanistan, Syrien, Kamerun, der Ukraine und aus dem Iran. Alle haben ein anderes Anliegen. Der Verein Utopia aus Frankfurt/Oder, der seit mehr als 25 Jahren antifaschistische und antirassistische Jugendarbeit macht, ist anwesend. Zwei Vertreter*innen bitten die Anwesenden, rassistische Übergriffe zu melden.

Utopia: Weil ja oft das Problem ist, dass viele Leute nicht glauben, dass es in Frankfurt/Oder Rassismus gibt oder auch einfach Nazis. Und uns ist es dann wichtig, das alles zu erfassen, um den Leuten, die das nicht glauben, zu zeigen, es gibt unglaublich viel, was passiert. Damit wir das ganze Wissen ein bisschen zusammentragen können und den Leuten, die vielleicht was dagegen machen möchten, ob jetzt beispielsweise in der Stadtverordnetenversammlung oder wie hier beim Brückenplatz, damit diese ganzen Daten verwendet werden können.

Mod:Ein weiterer Mann sitzt zum ersten Mal mit am Stammtisch. Er ist derzeit ohne Wohnung und braucht dringend eine Meldeadresse.

Oton Frau: Und im Asylantenheim, ist da auch nichts?

Kurzwelly: Nein, er ist ja raus aus dem Asylverfahren. Er hat Asyl bekommen. Und dann haben sie gesagt: Tschüss. Das ist toll, dass er Asyl bekommen hat. Aber jetzt haben sie ihn abgemeldet, im Heim in Seelow, wo er vorher war. Und er ist jetzt praktisch obdachlos, wenn man so will.

Mod:Die Słubfurterinnen und Słubfurter sind betroffen, versuchen zusammen eine Lösung zu finden. Kurzwelly spricht die Vertreter*innen der Organisation Utopia an, ob sie eine Idee hätten.

Beim Stammtisch geht es aber auch immer wieder auch um Kunst und Kultur. Eine Studentin der Europa-Universität Viadrina macht Werbung für ein feministisches Sommerfest – es findet im Hof des Kleist-Museums statt, das nur wenige Gehminuten vom Brückenplatz entfernt liegt. Und eine Słubfurterin verteilt Einladungen für eine Ausstellung im Mehrgenerationenhaus Mikado in Frankfurt/Oder.

Slubfurterin:Ab 16 Uhr gibt es Fotos von Frankfurt/Oder. Alte, neue, Collage-Fotos. Das ist sehr schön. Aktuell 15 Fotos. Vielleicht nächste Ausstellung mehr auch. Und natürlich alle eingeladen. Und das ist unser Flyer.

Mod:Von Mitte Oktober bis November 2024 hat Michael Kurzwelly eine Einzelausstellung in der Städtischen Galerie Arsenal in Posen. Dort wird die Geschichte von Nowa Amerika erzählt. Der Kunstkritiker und Professor Marek Wasilewski schreibt dazu: „Richard Buckminster Fuller, ein amerikanischer Architekt und Visionär, hat einmal gesagt: 'Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu erfinden'. Michael Kurzwelly, der sich seit mehr als dreißig Jahren mit Projekten an der Schnittstelle zwischen künstlerischer und sozialer Kreativität befasst und die ihn umgebende Realität nachhaltig beeinflusst, hat dieses Sprichwort zu seinem Motto gemacht.“

Wie ist Kurzwelly zu der Art von Kunst gekommen, die er heute macht und die er lebt? Geboren wurde er in Darmstadt, aufgewachsen ist er in Bonn.

Kurzwelly: 1983 habe ich Ersatzdienst gemacht mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, und da war ich dann mal anderthalb Jahre in Frankreich. Das war die einzige Organisation, mit der man damals als Kriegsdienstverweigerer ins Ausland gehen konnte, die eben vor allem junge Freiwillige in die Länder geschickt haben, die unter den Nazis gelitten hatten. Und so war ich eben anderthalb Jahre in einem landwirtschaftlichen Projekt in der Normandie, Calvados, und bin dann noch anderthalb Jahre länger geblieben, wollte schon Landwirt werden, hab ne Ausbildung gemacht in der Ziegenzucht. Und dann – meine Eltern, die mich keine Kunst studieren lassen wollten, fanden es dann doch besser, dass ich Kunst studiere, als Landwirt zu werden und habe mich dann darin unterstützt, Kunst zu studieren. Und so habe ich dann tatsächlich Kunst studiert, Malerei.

Mod:Durch einen Studierendenaustausch kommt Kurzwelly nach Posen, wo er seine erste Frau kennenlernt. Von 1990 bis 98 lebt er dort und gründet dort das internationale Kunstzentrum. Hier macht er erste Performances. Mit seinem Umzug 1998 nach Frankfurt/Oder beginnt er, mit Interventionskunst die Wirklichkeit zu erfinden.

Kurzwelly: Weil ich immer schon fasziniert war von Joseph Beuys und von der Idee der sozialen Plastik, habe ich immer einen Weg gesucht, wie kann ich Kunst und meine künstlerischen Aktivitäten miteinander in Verbindung bringen mit der Gesellschaft? Also, diese Idee von Kunstmarkt, irgendwie seine Bilder zu verkaufen und so weiter, das habe ich von Anfang an als zwiespältig empfunden, weil diejenigen, die das kaufen, das sind ja dann die Wohlhabenden und so weiter. Ich habe überlegt, wie kann ich denn meine Kunst so machen, wie ich möchte, ohne eben mich so einem Marktdruck zu beugen? Und so ist das nach und nach schon in Poznań mit dem Kunstzentrum – da ging es ja sehr viel auch um Austausch zwischen Künstlerinnen und Künstlern – habe ich dann eben Learning by Doing gelernt, Anträge zu stellen. Und als ich dann hier meinen eigenen Verein gegründet habe, dann eben auch von Antrag zu Antrag, von Projekt zu Projekt und das ist bis heute so geblieben.

Mod:Dass seine Ideen von so vielen Menschen mitgetragen würden, das hatte Michael Kurzwelly nicht erwartet. Dass Słubfurt nun schon 25 Jahre existiert, überrascht ihn beinahe.

Kurzwelly: Natürlich habe ich das nicht gedacht. Ich wusste es einfach nicht. Ich habe einfach angefangen damit.

Mod:Auch dass seine Kunst so viel Anerkennung erhält, war so nicht vorherzusagen. 2019 bekam Kurzwelly von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz für gelebtes Grundgesetz.

Kurzwelly: Dieses Kreuz – na ja, einerseits eben auch ist es interessant, weil darüber auch der Nationalstaat sich selber feiert und definiert mit der staatstragenden Fahne und dieser ganze Pomp drum herum. Dann wird die Nationalhymne gesungen und so weiter und so fort. Und dann habe ich natürlich gleich eine Kunstaktion daraus gemacht, weil ich gesagt habe, dieses Bundesverdienstkreuz haben eigentlich alle verdient, die hier Słubfurt mitgestalten. Und dann habe ich angefangen, das weiterzugeben, das Bundesverdienstkreuz, also eine Fotoaktion mit der staatstragenden Fahne von Słubfurt. Ich habe es dann auch umbenannt in "Verdienstkrzyz am Schznurku", also Verdienstkreuz am Bande in einen polnisch deutschen Mix übersetzt, und dann hat das erste Torsten Krüger bekommen, er hat es wieder weitergegeben usw. Mittlerweile sind es, glaube ich, 56 Leute, die das "Verdienstkrzyz am Schznurku" bekommen haben.

Mod:25 Jahre Słubfurt – 25 Jahre, die Michael Kurzwelly die Wirklichkeit durch künstlerische Interventionen erfindet und gestaltet. Słubfurt und Nowa Amerika sind sein Lebenswerk. Aber die Zukunft des zentralen Ortes, des Brückenplatzes ist ungewiss. Derzeit ist nicht sicher, was mit der seit Jahren aufgebauten Community in Zukunft passiert. Der Grund: Der Zwischenmiet-Vertrag für die ehemalige Turnhalle endet im Oktober 2024. Im ersten Quartal 2025 soll das Gebäude abgerissen werden.

Kurzwelly: Ein bisschen tut uns das weh, wenn wir jetzt hier weg müssen. Also das ist sehr schwierig, weil das ist hier städtisches Gelände im Herzen der Stadt im Grunde. Und die Stadt wollte das schon immer wieder verkaufen. Es war von Anfang an klar, dass das nur Zwischennutzung ist, was wir hier machen. Und sie sehen aber, dass es mittlerweile nicht nur Kunst ist, sondern eine wichtige Aufgabe der Integration wahrnimmt in der Stadt. Und deshalb wollen sie natürlich schon, dass es irgendwie weiter existieren kann. Nur haben sie jetzt ein Gelände für uns gefunden, das also zwei Kilometer außerhalb der Stadt ist, hinterm Friedhof gelegen. Und da sind wir dann so fast wie so ein bisschen abgeschoben.

Mod:Michael Kurzwelly befürchtet, dass die über Jahre aufgebaute Słubfurter Community auseinanderbricht. Aber, so der Interventionskünstler, er nimmt es als Herausforderung und wird alles tun, damit die kleine Gemeinschaft am Leben bleibt. In Zukunft vielleicht an einem anderen Ort.

→ Musikbett „Vielfalt in Brandenburg“

Abmoderation:Das war die zwölfte Folge unserer Podcastreihe „Vielfalt in Brandenburg“ über den Künstler Michael Kurzwelly aus Frankfurt/Oder bzw. Słubfurt. Alle Folgen und Hintergrundinformation findet ihr auf der Website www.boell-brandenburg.de.

Diese Reihe und alle weiteren Podcasts der Heinrich-Böll-Stiftung könnt ihr auf der Podcast-App Eurer Wahl abonnieren. Für Feedback und Anregungen schreibt uns eine Mail an: info@boell-brandenburg.de und empfehlt uns gerne weiter. Ich bin Bettina Ritter - Tschüss und bis zum nächsten Mal.

→ Jingle „Vielfalt in Brandenburg“

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