KOMPLIZIN*Prignitz
Shownotes
KOMPLIZIN*Prignitz ist ein freies Frauennetzwerk, das in der dünn besiedelten Prignitz Verbindung zwischen selbstständig arbeitenden Frauen (und weiblich gelesenen Personen) schaffen will.
Dabei geht es nicht nur um gegenseitige Unterstützung, sondern auch um Angebote, die u.a. jungen Menschen eine feministische weltoffene Perspektive in der Prignitz bieten.
Links: Film „Komplizin Priginitz“ von Diana Thorimbert
KOMPLIZIN*Prignitz auf Instagram
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JINGLE Böll.Regional
Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg.
Anmoderation auf Soundbett (Böll Spezial)
Ich bin Franziska Walser und ich begrüße euch zum zehnten Teil unserer Reihe „Vielfalt in Brandenburg“. In diesem Podcast wollen wir Menschen aus Brandenburg und ihre Lebensentwürfe vorstellen und darüber sichtbar machen, wie vielfältig Brandenburg ist. In dieser Folge geht es nicht um eine einzelne Person, sondern um ein Netzwerk mit ganz eigenen Regeln: KOMPLIZIN*Prignitz.
OT 1 (Katja)
Ich habe mir das irgendwie toll vorgestellt, auf dem Land da zu sein, wo es eigentlich nichts gibt. Und da mit Kunst was zu machen, also auch mit den Leuten, die vor Ort sind. Und ich hatte die Vision, dass genau da Kunst sein muss.
OT 2 (Sophia)
Ich glaube, man begegnet sich hier auch eher fast als in der Stadt, weil man nicht 100.000 Veranstaltungen gleichzeitig hat.
OT 3 (Simone)
Andererseits ist es auch so: Was du nicht selber machst, das passiert auch nicht.
OT 4 Anika
Und wenn man dann wirklich neu herkommt und niemanden kennt, ist es auch irgendwie nicht so einfach, finde ich.
OT 5 (Nancy)
Manchmal ist es ja so ruhig, dass es schon wehtut. Für mich zumindest. Wenn ich so an den Januar denke, an den Februar. Dann wird es hart, finde ich.
Komplizin*Prignitz ist ein Frauenbündnis in einer Region, die – wenn man es positiv formuliert – viel Platz für Ideen hat: Mit 35 Einwohner:innen pro Quadratkilometer ist die Prignitz der Landkreis mit der geringsten Bevölkerungsdichte in ganz Deutschland.
Die Stimmen, die ihr gerade im Intro gehört habt, gehören zu Katja, Sophia, Simone, Anika und Nancy. Das sind fünf von derzeit rund zehn Komplizinnen.
Wir haben miteinander einen langen Spätsommerabend verbracht. Im Norden der Prignitz, nur ein Dorf von der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern entfernt. Hier lebt Anika Homm in einer ehemaligen Gutshof-Brennerei, die jetzt Wohnhaus, Schmiede, Atelier, Ferienwohnung und vielleicht bald Künstlerresidenz ist.
OT 6 Atmo Brennerei (weiter unter Text)
Okay. Also, wollt ihr denn noch mit runtergehen? Jetzt?
Ja. Einmal runter. Und außen rum.
Vorne rum. Ich kann eine rauchen.
Du rauchst?
Ich rauche jetzt wieder, ja.
Schon in den ersten Minuten wird klar: Die Komplizinnen sind kein klassisches Karrierenetzwerk. Sie sind auch keine Clique, kein Heimatverein und kein aktivistisches Bündnis. Hier treffen sich in erster Linien Frauen, die etwas miteinander anfangen können, die neugierig aufeinander sind. Und daraus kann dann alles mögliche entstehen: Kunst, Kollaboration oder einfach ein netter Abend.
Ungefähr einmal im Monat lädt reihum eine Komplizin die anderen an ihren Wohn- und Schaffensort.
OT 7
Das riecht hier so lecker immer. So nach Öl und Maschinen und…
Der Rundgang durch die Brennerei endet in Anikas Schmiedeatelier. In einer Halle mit bogenförmig gemauerten Decken gruppieren sich mehrere Ambosse im Halbkreis um einen großen Schmiedeofen.
OT 8
Hier steht er.
Ach der! Ach so, da arbeitest du dann dran.
Ach oben! Ach, diese Figur ganz oben drauf ist neu, ne?
Und das sind ja so kleine Kerzen.
Vor einer alten Schultafel mit Kreideskizzen steht Anikas aktuelles Werkstück:
Ein „Globusleuchter“ – eine Auftragsarbeit für die Klosterkirche in Marienfließ. Der massive Stahlsockel trägt einen durch Längen- und Breitenlinien definierten Erdball. Man kann schon erkennen, wo später die Kerzen stehen werden. Ganz oben – da wo die Polkappe wäre – deutet sich eine tanzende Marienfigur an. Noch unfertig, aber erkennbar.
OT 9 (Anika)
Also das war jetzt ziemlich lang, das Projekt von mir. Und tatsächlich, das ist hier Vollmaterial, also das ist so zwanzigerrund, das ist schon wirklich richtig schwer. Und das hier zu schmieden zum Beispiel, also hier diese Querschnittsveränderungen. Das ist richtig harte Arbeit.
Die anderen Komplizinnen befühlen das Material, vergleichen die Skizze mit dem Original, stellen Nachfragen. Sie kennen sich aus mit kreativen Prozessen, die einem anderen Takt folgen als ein Nine-to-five-Job. Simone Ahrend ist Fotografin und Kunstvermittlerin. Nancy Krings-Basrawi macht Assemblagen – Dreidimensionale Skulpturen aus verschiedenen Gegenständen. Katja Martin macht „Mitmachkunst“, bei der sie Skulpturen und Räume verbindet.
Wenn man – wie ich als Journalistin – auf der Suche nach einer Schublade ist, in die sich KOMPLIZIN*Prignitz packen lässt, dann ist der erste Gedanke natürlich: „Aha, ein Künstlerinnenbund!“ Solche Frauennetzwerke haben eine lange Tradition mit berühmten Beispielen wie dem Hiddenseer Künstlerinnenbund oder dem Verein der Berliner Künstlerinnen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts haben Frauen die Notwendigkeit erkannt, sich zu vernetzen, um als Gruppe Sichtbarkeit zu erreichen.
OT 10 (Katja)
Also wenn wir jetzt mal von der Kunst hier im ländlichen Raum reden, da ist sie nicht wirklich präsent. Und das geht auch einfach darum: Wie können wir uns unsere Öffentlichkeit schaffen? Wie können wir unsere Präsenz zeigen? Wie können wir klar machen: Was ist es mit der Kunst? Warum kennt uns die Landwirtschaft nicht zum Beispiel? Oder warum interessiert sie sich nicht für uns?
Sagt Katja Martin. Und Nancy, Anika und Simone ergänzen mit Blick auf männliche Künstler:
OT 11 (Nancy)
Ich finde, die haben schon immer ihren Rahmen. Die haben – empfinde ich so – dass die mehr Öffentlichkeit haben. Dass die sich besser verkaufen können. Ich finde das eigentlich gut, dass Frauen da so ihren Rahmen haben oder ihre Plattform haben.
OT 12 (Anika)
Also ich finde einfach super, wenn wir uns gut kennen und wissen, was die anderen machen. So dass wenn man irgendwas hört, sofort an entsprechend andere Frauen jetzt aus der Gruppe denken kann. Und dann macht man das natürlich auf kurzem Weg. Was die Gruppe jetzt gar nicht so mitbekommt. Dass man dann sagt: Hey, da ist das Projekt und bewerb dich doch mal und ruf mal den an.
OT 13 (Simone)
Bei Männern funktioniert das, ohne dass sie irgendwie was dazu tun. Jedenfalls hat es von außen den Anschein. Frauen müssen jede Menge dazu tun, sich zu vernetzen. Frauen verdienen 23 % weniger Geld als Männer, das macht in der Rente, sagen wir mal 50 % weniger Geld. Und darum ist es auch total wichtig, dass auch Frauen sich vernetzten. Und KOMPLIZIN*Prignitz ist eine ganz tolle Möglichkeit, dass Künstlerinnen und Therapeutinnen und Malerinnen, Fotografinnen, sich in diesem Kreis finden sich mehr oder weniger regelmäßig treffen und einander auch Kraft geben.
Gute Argumente, aber meine Vermutung mit dem Künstlerinnenbund läuft trotzdem ins Leere. Sofia Sewig – die fünfte im Bunde an diesem Abend – ist keine Künstlerin, sondern Feldenkrais-Therapeutin und Lehrerin.
OT 14 (Sophia)
Das ist auch nach wie vor, glaube ich, so ein bisschen ein Punkt in der Gruppe, dass wir gucken: Was macht uns eigentlich aus, wenn gar nicht alle unbedingt Künstler sind oder künstlerisch arbeiten?
Ein Anknüpfungspunkt, der alle Komplizinnen verbindet, ist die Selbstständigkeit. So steht es auch in der offiziellen Selbstbeschreibung, die die Gruppe in langen Gesprächen für sich gefunden hat.
Sprecherin:
KOMPLIZIN*Prignitz ist ein freies Frauen-Netzwerk in der Prignitz. Uns geht es um das gegenseitige Empowern zumeist freischaffender und selbstständiger Frauen.
KOMPLIZIN*Prignitz hat zum Ziel, die Anliegen von weiblich gelesenen Personen im ländlichen Raum sichtbar zu machen und ihnen eine Plattform zu geben.
Mit unserem Wirken und gegenseitigem Unterstützen wollen wir unseren Fokus in verschiedenen gesellschaftlich relevanten Bereichen öffnen, um zusammen zu mehr Selbstwirksamkeit zu kommen.
Es geht uns um den Fokus, auch jungen Personen eine feministische, weltoffene Perspektive zu bieten.
Diese Sätze sind eine Richtschnur. Aber nicht alle Frauen müssen hinter allen Punkten gleichermaßen stehen, sagt Katja. KOMPLIZIN*Prignitz ist ein bewusst lose gehaltenes Netzwerk. Es gibt keine Vereinssatzung, keinen Vorstand. Es gibt noch nicht einmal eine feste Zahl von Mitgliedern, sondern nur einen engeren und einen erweiterten Kreis von Frauen, die über Messengerdienste miteinander Kontakt halten.
OT 15 (Katja)
Wir haben auch mal darüber gesprochen: Müssten wir eigentlich ein Verein sein, um Fördermittel abzugreifen? Aber ich glaube, es ist uns sehr viel näher, erstmal zu wissen, wer wir sind und was wir brauchen. Ich lese auch feministische Schriften und da ist das ja auch Thema, also diese Fragen sich zu stellen: Wer ist man denn in der heutigen Zeit? Und welche Formen kann man denn finden, die auch wirklich stimmen für einen.
Für mich ist diese Aussage erst mal irritierend. Ist es nicht das Ziel jeder Organisation bekannter zu werden, zu wachsen, sich permanent zu professionalisieren? Andererseits: Wer sagt, dass das der einzige Weg ist, um etwas zu verändern? In den Gesprächen an Anikas Küchentisch verstehe ich nach und nach was die Gruppe ausmacht. Und was vielleicht auch verloren gehen würde - zum Beispiel in einem hierarchisch organisierten Verein.
OT 16 (Anika)
Theoretisch könnte man sich ja auch engagieren in einer gemischten Gruppe. Aber ich glaube, wir haben alle auch Erfahrungen in anderen Gruppen. Und meine Wahrnehmung war – und deswegen habe ich unsere Treffen als super angenehm empfunden – dass wir einfach ganz oft, wenn wir uns länger nicht gesehen haben, haben wir wirklich so eine Runde gemacht und jeder hat erzählt: Was ist passiert? Was ist gerade bei ihm los oder wo gibt es neue Projekte? Und allen wird einfach zugehört, unabhängig davon, ob sie jetzt eher so die Lauten sind oder auch leise eher sind. Also jeder hat einfach diesen Raum zu sprechen und keiner funkt gleich dazwischen. Und das ist einfach das, was ich als total angenehm empfinde.
Wir sitzen zu sechst um das Ende einer langen Holztafel - unter den Deckenbalken der alten Brennerei, neben Anikas offener Küche. Auf dem Tisch steht nicht nur mein Mikrofon, sondern auch Weingläser, Gefäße mit Aufstrich, Bleche mit geröstetem Kürbis und eine Schüssel selbst angebaute Tomaten. Jede hat etwas mitgebracht. So ist es seit dem ersten Treffen Tradition erzählt Simone, die von Anfang an dabei ist.
OT 17 (Simone)
Von den zehn bis zwölf Komplizinnen waren mindestens immer sechs oder acht oder neun anwesend. Und wenn ich sehe, wie ein anderer Mensch lebt, dann verbindet es ja auch noch mal viel stärker, als wenn man sich immer nur in einem Raum trifft. Wenn man das eigene Lebensumfeld noch mal sieht, ist es natürlich auch sehr inspirierend. Und was noch toll ist: Um KOMPLIZIN*Prignitz zu werden, bringt man zu jedem Treffen halt sein Lieblingsessen mit. Irgendwas sehr Leckeres, so dass man sich auch über die Speisen noch mal kennenlernt, aber auch über die Dinge, die man macht.
Die Anfänge von KOMPLIZIN*Prignitz, ergänzt Katja, liegen in der Corona-Zeit und in der Landeshauptstadt Potsdam. Eine Kollegin aus dem Autonomen Frauenzentrum dort hatte die Idee, Gelder zu beantragen für Prignitzer Künstlerinnen.
OT 18 (Katja)
Und das fand ich ziemlich schräg, weil wir sind ja hier nun schon extrem lange und versuchen immer irgendwas zu machen. Die Kulturämter entwickeln nichts und haben auch keine Möglichkeiten, das zu unterstützen, was wir hier machen. Aber wenn in Potsdam da so eine Idee herumgeistert, dann findet es statt. Das war extrem spannend. Also wir wurden so ein bisschen von Potsdam gepusht und es ging irgendwie um das öffentliche Bild. Wir machen euch eine Broschüre, damit ihr besser sichtbar seid, auch für die Städter. Und wir haben aber ganz schnell rausgefunden, dass es uns eigentlich um was anderes geht. Also wir wollen erst mal wissen, wer sind wir denn eigentlich und wie? Wie nehmen wir uns wahr und was wollen wir? Das wollten wir entwickeln, das konnten wir nicht auf Anhieb sagen. Also das wollten wir miteinander rauskriegen und das ist eigentlich immer noch der Stand der Dinge.
Was in Förderanträgen steht und was Menschen vor Ort wirklich brauchen, sind oft zwei verschiedene Dinge. Das weiß Katja Martin aus Erfahrung. Sie ist nach dem Kunststudium in Dresden – woher sie auch die Schmiedekünstlerin Anika Homm kennt – mit ihrem Partner nach Horst bei Pritzwalk gekommen und hat dort mit anderen Künstler:innen das „Atelierhaus“ gegründet. Ab 2006 entstand rund um das ehemalige Gutsverwalterhaus der Skulpturenpark „Atelier im Grünen“, der in der warmen Jahreszeit nach Absprache besichtigt werden kann.
Wie eigentlich alle Komplizinnen lebt Katja nicht allein vom Verkauf ihrer Kunst. Sie arbeitet in Bildungsprojekten mit Schülerinnen und Schülern. Anika Homm war lange Lehrerin in Potsdam und gibt jetzt Integrationskurse für Geflüchtete. Nancy Krings-Basrawi pendelt aus der Prignitz ein paar Tage die Woche nach Hamburg, wo sie im Stadtmarketing arbeitet. Die Fotografin Simone Ahrend arbeitet unter anderem für das Projekt „Zeitensprünge“ bei dem Jugendliche Ortsgeschichte erforschen und am Ende in einer Ausstellung präsentieren.
OT 19 (Simone)
Ich bin wahrscheinlich immer in diesen Netzwerken die Einzige in der Prignitz geborene. Aber ich war auch zwei Jahre in New York, um Fotografie zu studieren und als ich von dort wieder kam, habe ich auch sehr viele Ausstellungen in der Prignitz gemacht. Und damals ist man relativ leicht auch noch mal an Fördergeld für eine Ausstellung rangekommen. Aber inzwischen habe ich mein Feld so dahin verlegt, dass ich Kunstausstellungen, trainiere mit Leuten in Schulen. Also praktisch vom ersten Bild bis zur Galerierede, bis zur Rahmung, bis zur Ausstellungseröffnung in der Öffentlichkeit.
OT 20 (Katja)
Die Bedingungen hier waren schon auch mehr oder weniger immer schwierig. Aber es gab eine gewisse gute Anfangszeit, weil da gab es einfach mehr Gelder als es jetzt gibt und die haben einiges möglich gemacht. Es war eine tolle Zeit. Und die Spezialität hier ist ein bisschen die, dass man blöderweise ganz oft immer wieder von vorne anfangen muss, weil es nie Projektgelder gibt, wo man aufbauend was entwickeln könnte, sondern man stellt einen Antrag und dann ist es eben vorbei. Und dann muss man sich das Nächste ausdenken. Und manchmal finde ich das ganz oll.
Oll und lästig, aber auch ein permanenter Ansporn Netzwerke zu gründen, sich zusammenzutun für größere Projekte. Und natürlich sichtbar zu werden.
Aus den Potsdamer Fördertöpfen für die Prignitzer Künstlerinnen entstand – anders als geplant – keine Broschüre. Aber eine gemeinsame Fortbildung für die Präsentation der künstlerischen Arbeiten auf Instagram mit der Potsdamer Künstlerin Patricia Vester.
Nächster Schritt in Richtung mehr Sichtbarkeit: Ein Dokumentarfilm der Prignitzer Regisseurin Diana Thorimwert. Gewidmet: „Allen Frauen* die was bewegen“
OT 21 Ausschnitt aus Film (Sprecherin (Regisseurin) auf Musik)
Ich wohne seit zwei Jahren in der Prignitz und seitdem haben sich hier für mich und für meine Arbeit ganz viele Türen geöffnet. Diesen Winter ist eine Gruppe von Frauen entstanden, die was gemeinsam auf die Beine stellen will. Wir wollen uns kennenlernen, uns miteinander vernetzen und uns nach außen hin öffnen, um zu zeigen, was wir in und für die Region hier machen.
Der Film wurde bei der Brandenburgischen Frauenwoche gezeigt. Wenig später meldete sich Ursula Nonnemacher, Brandenburgs Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz und die Komplizinnen arrangierten ein Treffen in Wittenberge. Im Stadtsalon Safari, einem gemeinnützigen Veranstaltungsort. Nichtkommerzielle Kultur und Begegnungsorte wie das Safari gibt es in der Prignitz einige. Der Raum ist ja da.
Bei meiner allerersten Begegnung mit dem Frauen-Netzwerk treffen wir uns in so einem Ort, im Kulturkombinat Perleberg, das ein Bündnis Prignitzer Künstler:innen gegründet hat.
OT 22 Atmo Kulturkombinat (Kinderstimmen, Erklärung)
Dann schneidest du das jetzt auch aus vorsichtig. Ein Mal rundrum, ja?
Hier haben die Komplizinnen ein Klamottentausch- und Upcycling Event organisiert.
OT 23 Atmo Kulturkombinat (Kinderstimmen, Erklärung Wolle, Druckanleitung) weiter unter Text
Ihr müsst die schön zupfen. Das ist wie Zuckerwatte. Ganz weich. Wenn da richtiger Dreck drin ist, kann der in den Eimer da und sonst hier. Dass der ganze Dreck raus fällt, das Stroh, was da drin ist. Schön fluffig machen.
Im Innenhof lernen Kinder wie man Wolle wäscht und bürstet, damit sie gesponnen werden kann. In einer offenen Scheune rattert eine Nähmaschine und wer will kann die neu ertauschten Kleider gleich mit Stempeln und Flicken verschönern. Von dekorativ bis politisch. Der „Fuck AfD“ Stempel geht von Hand zu Hand.
OT 24 (Katja)
Es geht darum, dass wir offen sein wollen und dass wir uns auch gegen Rechts abgrenzen. Und dass es uns aber auch um die nächste Generation geht. Also, da einige von uns Kinder haben und wir sehen auch, in welchen Zusammenhängen die hier sind, ist es uns ein Anliegen, eine offene Prignitz zu haben, die auch was bietet. Und es gibt finanziell keine Struktur. Das ist auch, finde ich, total krass, dass obwohl ja der Landkreis auch gerne möchte, dass hier Leute herkommen, die das hier gestalten. Trotzdem gibt es kein Bewusstsein für diese kulturelle Chance, also dieses kreative Potenzial hier irgendwie zu nutzen. Weil ich glaube, das wird einfach nicht gesehen. Was für andere Chancen möglich wären, um einen Ort unverwechselbarer zu machen, um den lebenswerter zu machen, um vielleicht Leute ran zu locken. Ich sage mal jetzt vielleicht für Kliniken, weil die Kliniken haben immer alle kein Personal. Um einen Ort attraktiver zu machen, um vielleicht mehr Kultur anzubieten. So was wird überhaupt nicht gesehen als Möglichkeit
Wenn es um Fachkräftemangel geht, wird oft von Standortfaktoren wie Wohnraum oder Kitaplätzen gesprochen. Aber auch ein lebendiges Kulturleben kann darüber entscheiden, ob z.B. eine Klinik Fachkräfte gewinnen kann. Und vor allem darüber, ob sich die Zugezogenen dann auch wohlfühlen und bleiben.
Bis auf Simone sind alle Frauen in der Gruppe Neu-Prignitzerinnen. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass es schwer ist, in die über Generationen gewachsenen Dorfstrukturen aufgenommen zu werden.
OT 25 (Anika)
Man bleibt immer zugezogen. Also auch wenn man 26 Jahre auf dem Dorf schon ist, dann ist man immer noch neu, quasi. Also man bleibt es halt. Keine Ahnung. Muss man drei Generationen da sein oder so, bis das irgendwann mal fällt.
OT 26 (Katja)
Das ist, finde ich, aber auch eine Spezialität, die uns unterscheidet von den Leuten, die hier aufgewachsen sind. Weil deren Haltung, glaube ich, zu Konsum oder auch zu dem Kulturkonsum die ist eine andere: Die fahren lieber nach Berlin oder nach Schwerin oder nach Rostock, um ins Theater zu gehen, als sich hier was anzugucken. Weil das ist das Anerkannte oder das ist dieses Kulturbürgertum wo Sie drüber reden können. Sie waren eben in Rostock oder sie waren in Berlin und haben da das gesehen. Und das, was wir hier machen, das, was ich auch so kenne, passiert nicht, wenn ich es nicht selber mache. Was natürlich auch viel Kraft zieht.
Lückenhafte Förderstrukturen, lange Winter, große Entfernungen – da ist es mehr als verständlich, wenn einem die Kraft auch mal ausgeht. Die Frauen an dem langen Holztisch in der alten Brennerei sprechen offen über Resignationsmomente. Das Gefühl zwei Schritte vor und einen zurück zu machen. Aber sie schmieden auch neue Pläne.
OT 27 (Nancy)
Also, ich hatte auch schon mal vorgeschlagen, dass man sich einfach mal trifft und Skizzen zeichnen irgendwo. Man fährt in die Botanik und zeichnet dann irgendwie. Das haben wir noch nicht geschafft, aber es wird sicherlich auch mal sein. Und dann geht das so in die Runde und dann finden einige das gut. Aber wir haben da jetzt noch nie einen Termin festgemacht. Aber ja: Den Flohmarkt (Antwort aus der Runde) Den Flohmarkt, ja. Oder dann auch im nächsten Jahr so eine Ausstellung hier. Die wollen wir dann bei dir machen mit Frauen, die dann halt ihre Sachen hier ausstellen.
OT 28 Atmo (Suche nach neuem Termin)
Meinst du, wir treffen uns dann das nächste Mal und dann ist Winter?
Ne, Oktober.
Gegen halb zehn löst sich die Runde für heute auf. Alle Frauen haben noch einen langen Heimweg vor sich. Nach Perleberg fährt man mindestens eine halbe Stunde, nach Wittenberge 45 Minuten. Mit dem Auto. Simone, die alle Wege mit Bus und Bahn zurücklegt, war zu dem Treffen fast 4 Stunden unterwegs, wegen Schienenersatzverkehr. Trotzdem: Zurück in die Großstadt zieht es weder Simone, noch die Gastgeberin des Abends, Anika.
OT 29 (Simone)
Ich hab zwei Jahre in New York gelebt, da war wirklich, die Menschen waren übereinander gestapelt in Häusern und man hat so das Dreifache an Kraft benötigt um einen Schritt zu gehen und wenn ich dann wieder zurückgekommen bin in die Prignitz, habe ich gemerkt, ich brauche nur ein Zehntel des Geldes, ich brauche auch nur ein Drittel der Kraft, um die Wege zurückzulegen, aber ich habe hier, sagen wir mal, ne andere Form der Inspiration
OT 30 (Anika)
Es gibt auch so eine Art herbe Schönheit, natürlich. Und das hat eben so einen ganz besonderen Charme auch. Und dann habe ich wirklich gute Freunde. Also ich habe das Gefühl, dass das richtig echte Begegnungen sind mit Menschen also, die man so dann regelmäßig trifft. Auch, wenn man dann weiter fährt, um sich zu treffen. Das hat so was wirklich Beständiges irgendwie und das genieße ich sehr.
Abmoderation auf Soundbett (Böll Spezial)
Das war der 10. Teil unserer Podcast-Serie „Vielfalt in Brandenburg“ über KOMPLIZIN*Prignitz. Im nächsten Teil dieser Reihe porträtiert meine Kollegin Vanessa Löwel den Künstler Ilusch. Er ist gerade mal 16 Jahre alt und erobert von Frankfurt an der Oder aus den internationalen Kunstmarkt. Eine New Yorker Galerie hat Iluschs Bilder auf Instagram entdeckt und den Brandenburger zu einer Gemeinschaftsausstellung eingeladen. Außerdem engagiert sich Ilusch in der queeren Szene von Frankfurt an der Oder.
Alle Folgen und Hintergrundinformationen findet ihr auf der Website www.boell-brandenburg.de. Diese Reihe und alle weiteren Podcasts der Heinrich-Böll-Stiftung könnt ihr auf der Podcast-App Eurer Wahl kostenfrei abonnieren.
Für Feedback und Anregungen schreibt uns gerne eine Mail an: info@boell-brandenburg.de und empfehlt uns sehr gerne weiter, wenn es euch gefallen hat. Ich bin Franziska Walser, ich sag tschüss und bis zum nächsten Mal.
SCHLUSSJINGLE Böll Regional
Vielfalt in Brandenburg. Ein Podcast der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg.
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